Willkommen auf dem Blog von Marcus K. Reif | Meine Arbeit gibt Ihnen Zeit für Ihre!

Wir alle haben Optimierungsmöglichkeiten bei der Auswahl neuer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Und einige dieser Facetten sind typische Fehler. Zuvorderst ein Aspekt, der Ihnen vermutlich gar nicht so vor Augen schwebt: hat Ihr Unternehmen eine Talent-Acquisition-Kultur? Was soll das sein? Für was ist Ihr Recruiting zuständig? Zum Füllen der Lücken? Oder nehmen Sie Ihr Recruiting wahr als eine sinnvolle Funktion zur Stärkung Ihrer Unternehmensstrategie? 

Talent-Acquisition-Kultur?

Prüffragen hierfür könnten sein: wie lange brauchen Sie, um einer Bewerberin oder einem Bewerber ein Angebot zu unterbreiten. Ich hörte vor einigen Tagen von einem internationalen Top-Arbeitgeber, dass die Time-to-Offer auch mal über 100 Tage gehen kann. Fachbereiche geben kein Feedback zu Lebensläufen und der Recruiter agiert eher als Sachbearbeiter? Sie haben keine Talent-Acquisition-Kultur! Und wir alle erleben viel zu oft das Geschimpfe auf das Recruiting: zu langsam, keine Ahnung von den Profilen, bringen keine guten Kandidaten an und helfen nicht besonders. Natürlich müssen wir Lücken füllen, ein Teil unserer Aufgabe. Aber wenn unplanmäßige Fluktuation auszugleichen ist, wieso ist diese entstanden? Gerade im Direktvergleich zu anderen Teams, Bereichen oder Abteilungen?

Zurück zum Thema. Nehmen wir mal die Kultur raus und schauen auf typische Fehler bei der Personalauswahl:

schalten Sie Ihre Filter ab!

Ihre Filter, Ihre Routinen, Erfahrungen und gewonnenen Überzeugungen sind beim Vorstellungsgespräch hinderlich. Auch Sympathie oder Antipathie zu Ihrem Gegenüber haben eigentlich in der Beurteilung der Eignung einer Kandidatin oder eines Kandidaten nichts verloren. Leider erhält das Bauchgefühl oftmals zu viel Gewicht für die Beurteilung, weil wir uns auf unsere Filter verlassen.

Man spricht hier von “unconscious bias”, daneben existieren eine ganze Reihe an Übertragungs- und Partizipationseffekten, die ich hier beschrieben habe: Unconscious Bias: “Ich erkenne Potenzial nach zwei Minuten”

achten Sie auf Ihr Bauchgefühl

Ja, wie denn nun? Eben hieß es doch noch, Bauchgefühl hat zu viel Gewicht? Am Ende einer sachlichen Abwägung sollte das Bauchgefühl eine Rolle spielen. Dann sollten Sie auch über die kulturelle Passung entscheiden. Der Unterschied ist, wenn Sie sich nach einem Interview nur auf Ihr eigenes Bauchgefühl verlassen, ist die Entscheidung für oder gegen einen Kandidaten nicht valide genug. Haben Sie aber die oben genannten fünf Eindrücke gewonnen, darf das Bauchgefühl gerne eine Rolle spielen.

Bauchgefühl ist eine wichtige Facette in der Beurteilung, aber nur als Ergänzung Share on X

selektieren Sie immer noch nach Noten?

Noten haben keinerlei Leistungsprognose. Und doch selektieren wir weiterhin nach Noten, wenn wir Aussagen hören im Sinne von “die besten Kandidaten müssen schnell durch den Prozess”. Und mit dem Attribut “besten” kennzeichnen wir Noten zwischen 1,0 und 1,7. Das ist eine unzureichende und leider auch unzulängliche Form der Selektion. Sind nicht Werte, wie Integrität, Loyalität, Zuverlässigkeit und Leidenschaft für den Job die Elemente, die eine gute Karriere ausmachen? Sind das nicht auch die Elemente, die in einem modernen Leistungsbeurteilungsprozess betrachtet werden? Performance-Management ist ja viel mehr in den Dimensionen Entschlossenheit mit Handlungs- und Umsetzungsorientierung, Konfliktbereitschaft und Durchsetzungsfähigkeit; Antrieb, Interaktionsfähigkeit mit Teamkompetenz, Empathie, emotionaler Intelligenz und Kontaktfreude; Neugierde mit Offenheit und Wissbegierde sowie kognitives Vermögen mit Mindset und Outside-in-Denken aufgehoben. Nicht ausschließlich, aber mindestens in diesen Dimensionen sollte eine Leistung über eine zeitliche Periode hinweg gemessen werden. Lesen Sie mehr unter Mit meinen schlechten Noten von damals verdiene ich heute mein Geld.

lösen Sie sich von der Ideal-Stereotyp

Suchen Sie nicht, finden Sie! Viel zu oft habe ich erlebt, dass es für Vakanzen gar kein Anforderungsprofil gibt. Und wenn es eins gibt, ist es oftmals ausgelegt für die eierlegende Wollmilchsau. Lösen Sie sich bewusst von der Silhouette des Ideal-Kandidaten. Suchen Sie Menschen, die Talent zeigen und ein Potenzial haben, welches in der zu besetzenden Vakanz sinnvoll einsetzbar ist. Und gerade Talent und Potenzial zu erkennen, verfallen wir zu oft in unsere Filter, schauen mit dem Bauchgefühl auf Parallelen. Schauen Sie “netto” auf die Kompetenzen Ihrer Kandidaten.

Jagen Sie nicht den Idealkandidaten. Schauen Sie auf Potenziale Ihres Gegenübers Share on X

finden Sie Maß und Mitte

Jeder Bewerber, der Ihnen seine mühevoll zusammengestellte Unterlage schickt, hat ein Interesse an einer Tätigkeit bei Ihnen. Seien Sie respektvoll im Umgang mit dem Kandidaten selbst, aber auch mit seiner Zeit. Ein Gespräch ist zu wenig, sieben deutlich zu viel. Finden Sie Maß und Mitte. Was auch bedeutet, lassen Sie eine sinnvolle Anzahl an relevanten Kollegen teilhaben an der Auswahl neuer Mitarbeiter. Suchen Sie für Ihr Team, nutzen Sie hierfür etablierte und kundige Mitarbeiter, die als Hiring-Manager geschult sein sollten.

Haben Sie zu wenig “Touchpoints”, laufen Sie Gefahr, dass Ihre Filter zu einer nicht umfangreich belastbaren Entscheidung führen. Verlassen Sie sich aber auf mehrere Meinungen aus einem Telefoninterview und vielleicht zwei Gesprächen mit jeweils zwei Kollegen können Sie auf fünf Meinungen und Eindrücke Ihre Entscheidung aufbauen.

Interviews ohne Struktur

Kommen Sie nicht unvorbereitet ins Interview. Treffen Sie sich vorher. Recruiter und Hiring-Manager sollten 15 Minuten vorher im Meetingraum zusammenkommen. Schauen Sie sich die Bewerbung an. Gibt es Notizen oder Hinweise aus dem Telefoninterview, falls Sie vorher eins machen? Auf was müssen Sie achten? Und falls Sie noch nicht eingespielt sind, sprechen Sie über die verschiedenen Rollen und Aufgaben.

Sie brauchen mindestens eine Teilstruktur. Schauen Sie unterhalb mal auf meinen Vorschlag einer Kompetenzmatrix, die Sie zur Prüfung der Eignung anwenden können. Prüfen Sie jeden einzelnen Aspekt ab. Lassen Sie sich nicht durch Ihre Filter von einer sachlichen und objektiven Bewertung der Kompetenzen, des Potenzials und des Talents der Kandidatin oder des Kandidaten abbringen. Bleiben Sie in einer Struktur, die es gerade den Hiring-Managern bietet, vergleichbare Erlebnisse zu haben. Ihre Einstellungsqualität und die Candidate-Experience danken es.

Soft-Skills entscheiden!

Viele Hiring-Manager schauen auf Noten, keimfreie Biografie und den Lebenslauf. Aber nicht auf Verhaltensorientierung, Handlungsorientierung, Stressmuster, Belastbarkeit oder Kooperationsfähigkeit und Kombinatorik. Das sind aber alles Elemente, die wir in den zyklischen Leistungsbeurteilungsrunden aber als die hervorstechendsten Kriterien sehen. Schauen Sie bitte auf diese Skills, sie sind alles entscheidend für die Karriere. Noten übrigens nicht, siehe “Menschen mit dem größten Potenzial fallen durchs Raster”. Und schauen Sie auf den nachfolgenden Absatz. Wenn Sie Haltung und Persönlichkeit an Bord haben, können Sie die nötigen Fähigkeiten auch trainieren. Die Kernkompetenzen sollten die Bewerber aber schon im Köcher haben.

Hire character, train skills

Rekrutieren Sie Haltung und Persönlichkeit, trainieren Sie die Fähigkeiten im Nachgang. Was heute wie eine einfache Empfehlung klingt, ist real betrachtet ein Paradigmenwechsel in der Personalauswahl. Sind doch heute die Hiring-Manager immer noch biografie- und abschlussorientiert unterwegs, vermissen die Recruiter eine stärkere Sensibilität für Potenzial und Talent. Mehr dazu unter Hire Character, Train Skills – rekrutiere Haltung, trainiere Fähigkeit.

Hire Character, Train Skills – rekrutiere Haltung, trainiere Fähigkeit Share on X

im Interview gilt …

… kein Smartphone, Notebook oder Tablet, siehe auch Smartphone auf dem Tisch entwertet das Gespräch. Weder auf dem Tisch, noch vibrierend in der Tasche. Sie entwerten damit die ganze Interview-Situation. Schenken Sie dem Kandidaten eine Stunde Ihrer vollen Aufmerksamkeit und Konzentration. Seien Sie ein sehr guter Botschafter Ihrer Firma. Führen Sie keine Monologe, hören Sie zu, hören Sie aktiv zu, fragen Sie interessiert nach. Selbst wenn Sie im Laufe des Interviews der Meinung sind, dass Ihr Gegenüber kein Angebot erhalten wird. Bringen Sie das Interview souverän und professionell zu Ende. Auch das ist Candidate-Experience.

Stringenzfetisch

Sie erleben das sicher auch ab und an. Hiring-Manager beschweren sich über nicht lineare Lebensläufe. Über Sprünge, Auszeiten oder schlechte Noten. Schlechte Arbeitszeugnisse, dämliche Postings in sozialen Netzwerken und vieles dieser Kategorie mehr. Schauen Sie auf einhundert Bewerbungen von akademischen Bachelor-Absolventen wird es immer schwieriger, aus den doch zunehmend homogenen Biografien irgendwas Verlässliches herauszulesen. Aus der Masse heben sich Bewerber am besten ab durch praktische Erfahrungen. Das können Praktika sein, aber auch ehrenamtliches Engagement, außeruniversitäre Tätigkeiten oder Mitarbeit am Campus, gerne auch in einer studentischen Unternehmensberatungen. Meine Empfehlung ist: machen Sie Praktika! Nutzen Sie auch das Gap-Year. Sie kommen durch Bologna und die Abschaffung der Wehrpflicht und des Zivildiensts, in vielen Schulen auch durch G8 noch früh genug in den Genuss des Arbeitens! Und seien Sie relevant!

Also lösen Sie sich von der Idee, dass ein Lebenslauf irgendwie keimfrei sein muss. Sie finden gerade bei der jüngeren Generation Y und der Gen Z – siehe auch Erwartungen an Führung der Generation Z sowie deren Eigenschaften – nicht mehr die Stringenz, die bei der Generation Baby-Boomer und Generation X noch als Karrieregarant galt.

was ist eine vollständige Bewerbung?

Bei Berufserfahrenen sollten Sie ab >5 Jahren relevanter Expertise auf das Nachfordern von einem Schulzeugnis verzichten. Eine vollständige Bewerbungsunterlage ist aus meiner Sicht:

Absolventen Sie entscheiden hier über den Einstieg in Ihre Firma. Natürlich sind das Schulabschlusszeugnis, Zeugnis und Zertifikat der Ausbildung und/oder Zeugnisse/Zwischenzeugnisse der Hochschulen zwingend. Arbeiten Sie gerne mit diesem Ansatz hier:

  • Anschreiben
  • ggf. Motivationsschreiben
  • Lebenslauf
  • Schulabschlusszeugnis
  • ggf. Ausbildungszeugnis
  • Zwischenzeugnis/Notenaufstellung Hochschule
  • ggf. Diplom

Berufserfahrene Sie entscheiden hier über die Fortsetzung einer Karriere. Ein großer Schritt ist, dass Sie schon mal die Unterlagen der Person auf dem Tisch haben. Doch was geht dort bei der Dame/dem Herrn vor? Ein Wechsel bedeutet eine Kündigung bei aktuellen Arbeitgeber, eine sehr emotionale Entscheidung, die mit einem Risiko einer Probezeit und eines neuen Umfelds einher geht. Machen Sie es den Herrschaften so bequem wie möglich.

Ein Schulzeugnis brauchen Sie nicht im jetzigen Schritt:

  • Motivationsschreiben
  • Lebenslauf
  • Zwischen- oder Arbeitszeugnis
  • ggf. Diplom

Aus meiner Sicht reicht das völlig aus, um einen sinnvollen Dialog über eine Karriere zu führen.

Nach was sollten Recruiter selektieren?

Doch wie sollen Recruiter eigentlich über die verschiedenen Facetten der Bewerber urteilen? Welche Kategorien sind zu beachten? Ich habe sehr gute Erfahrungen gesammelt, um nach diesen Aspekten hin eine Eignung festzustellen:

  • Fachlichkeit
  • Persönlichkeit
  • soziokultureller Passung
  • kognitives Leistungspotenzial
  • kommunikative Kompetenz
  • Umfeld-Kompatibilität

Damit sind Sie schon ziemlich gut unterwegs. Die Umfeld-Kompatibilität umfasst auch die Kunden, Lieferanten und andere Stakeholder, während die soziokulturelle Passung oder der Fit eher auf das Team und die Abteilung abzielt. Und versuchen Sie in einer Teilstruktur die Kompetenzen für die Eignung zu bewerten. Nutzen Sie gerne die nachfolgende Vorlage, mit der ich beste Erfahrungen gesammelt habe.

#Recruiter schauen nach Fachlich- und Persönlichkeit, soziokultureller Passung, kognitivem Leistungspotenzial und kommunikativer Kompetenz Share on X

Eignungsmatrix der Kompetenzen

Das sind aus meiner Sicht etablierte und gute Aspekte zur Bewertung der Eignung:

Schauen Sie in der Selektion Ihrer neuen Mitarbeiter auf eine strukturierte Einschätzung nach den Potenzialtreibern, der Handlungskompetenz, der sozialen Kompetenz und natürlich der Managementkompetenz. Diese können Sie natürlich auch bestens prüfen für Aufgaben ohne disziplinarische Führung, denn sie wird u. a. durch die Kunden- und Serviceorientierung beobachtet. Schauen Sie auch auf die digitale Kompetenz, die heute schon als essenziell für die meisten qualifizierten Jobs erachtet wird.

Dieses Thema könnte noch so umfassend weitergehen. Wenn Sie sich die Frage stellen, welche Eigenschaften muss eigentlich ein Recruiter mitbringen oder wie können wir das Potenzial bei Menschen erkennen, schauen Sie ein Stück runter. Habe Ihnen ein paar Artikel notiert, die Ihnen sicherlich in diesem Kontext zusagen werden.

Beste Grüße

Ihr Marcus Reif


Spannende Artikel zur Recruiting-Kategorie:

Handelsblatt-Klick-Strecke

Und das Handelsblatt hat eine schöne Klick-Strecke aus meinem Artikel gemacht:

Veröffentlichung im digitalpublishingreport

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