Für was braucht man in HR eigentlich Kompetenz?
Frage ich auf Konferenzen und Vorträgen, wer denn schon Aussagen aus dem Fachbereich im Sinne von “Potenzial erkenne ich in zwei Minuten” hörte, gehen meist ⅔ aller Hände nach oben. Und sind wir mal ehrlich, sonderlich viel Kompetenz bekommt der HR-Bereich in den wenigsten Unternehmen zugebilligt. Woher kommt also diese paradoxe Situation, das wir als HR-Bereich wirkungsvoll agieren und unseren Wertbeitrag noch steigern wollen – zunehmend im Kontext Strategie und Digitalisierung sowie dem Veränderungsmanagement -, uns aber diese Wertschätzung im Unternehmen oftmals nicht entgegengebracht wird?!
Wir stehen also in einem Widerspruch der Ansprüche. Der Anspruch unserer innerbetrieblichen Kunden an HR ist bester Service, hohe Geschwindigkeit und die Prozesse richtig machen. Unser Anspruch ist der richtige Service und die richtigen Prozesse machen. Das liegt oftmals nicht übereinander!
Unsere Kunden sehen uns als Verwalter, wir sehen uns als Gestalter!
Gerade in den letzten Tagen schaute ich einige Videos von Peter Kruse an. Er ist vor einigen Tagen für viele überraschend und viel zu früh von uns gegangen. Komme später noch mal auf ihn zu sprechen, aber dieser Artikel wurde inspiriert durch seine Aussagen. Seine vernehmbare Stimme wird fehlen!
Solche Aussagen kennen wir ja nun:
“Potenzial erkenne ich nach zwei Minuten”
Aber auch andere Übertragungseffekte/Partizipationseffekte sind uns nicht fremd. Ob Erfolgsprinzip Ähnlichkeit, Unconscious Bias, Mini-me-Principle, Spill-over-Effekt, Carry-over-Effekt, Halo-Effekt, Kannibalismus-Effekt, Umbrella-Effekt oder mein Favorit: der Dunning-Kruger-Effekt.
„Dunning-Kruger-Effekt“
Dieser Effekt beschreibt die ausgeprägte Neigung auf einem Gebiet oder allgemein inkompetenter Menschen, das eigene Können zu überschätzen und gleichzeitig die Leistung kompetenterer Personen zu unterschätzen. Die Aussage oberhalb “Potenzial erkenne ich nach zwei Minuten” entspringt eben diesem Effekt, vermutlich meist einhergehend mit der Gewissheit, dass eine Beziehungsebene – also das Bauchgefühl – schon den richtigen Weg weisen wird. Die Personen “dunning-krugern” in diesem Fall also unabsichtlich und ohne dies zu wissen.
„Wenn jemand inkompetent ist, dann kann er nicht wissen, dass er inkompetent ist. […] Die Fähigkeiten, die man braucht, um eine richtige Lösung zu finden, sind genau jene Fähigkeiten, die man braucht, um eine Lösung als richtig zu erkennen.“
David Dunning
Dies sagte David Dunning vor 15 Jahren in der »New York Times«. Auf Wikipedia erfahren wir, dass Dunning und Kruger in vorausgegangenen Studien bemerkt hatten, dass etwa beim Erfassen von Texten, beim Schachspielen oder Autofahren Unwissenheit oft zu mehr Selbstvertrauen führt als Wissen. An der Cornell University erforschten die beiden Wissenschaftler diesen Effekt in weiteren Experimenten und kamen 1999 zum Resultat, dass weniger kompetente Personen …
- dazu neigen, ihre eigenen Fähigkeiten zu überschätzen,
- überlegene Fähigkeiten bei anderen nicht erkennen,
- das Ausmaß ihrer Inkompetenz nicht zu erkennen vermögen,
- durch Bildung oder Übung nicht nur ihre Kompetenz steigern, sondern auch lernen können, sich und andere besser einzuschätzen.
Auswahl nach Potenzial und Talent
Hatte vor ein paar Tagen dazu geschrieben unter Alles ändert sich: die Generationen X, Y und Z, muss das also hier nicht noch mal erwähnen. Bei der Selektion neuer Kolleginnen und Kollegen wird die Eignungsdiagnostik einen immer größeren Raum einnehmen (müssen), denn die Bachelor-Abschlüsse kennzeichnet eine hohe Homogenität bei gleichzeitig zunehmender Heterogenität der Persönlichkeiten. Um die vorgenannten Übertragungseffekte in einem Rekrutierungsprozess zu berücksichtigen und idealerweise durch objektive Methoden zu ersetzen, gilt es, die Recruitingtaktik neu aufzustellen. Weg von der Selektion nach Noten, hin zum Erkennen von Potenzial und Talent. Normen und Standards sind der Gegner der Innovation und entsprechen auch nicht dem Humboldt’schen Bildungsideal und Humanismus unserer aktuellen Schulbildung. Die Standards begünstigen den Dunning-Kruger-Effekt. Das zeigt sich oft darin, dass in der Praxis doch mehr theoretische Talentförderungssimulationen finden als echte und praktisch wirkende Talentförderung.
Digitalisierung
Am besten kann man die derzeitigen Auswirkungen der Digitalisierung auf dem Absatzmarkt beobachten. Die Mischung aus Innovation und Disruption verändern die Welt. Innovative Startups mit digitalen Geschäftsprozessen und -modellen engagieren sich mit flachen, agilen und liquiden Strukturen in einem Markt. Die Folge sind disruptive Veränderungen in traditionellen Branchen. Einige Beispiele gefällig? Gerne:
- Uber mischt den Markt der Taxen auf (was bedeutet das für den regulierten Markt der Taxen in Deutschland?)
- Netflix erobert Marktanteile des linearen Fernsehens der traditionellen Medienanbieter (was bedeutet dies für ARD und ZDF sowie der GEMA?)
- Airbnb hat in China mehr Kunden als die klassische Hotel- und Reisebranche – und das ohne einen einzigen Mitarbeiter!
- Amazon will Bestellungen am gleichen Tag ausliefern (was bedeutet dies für den klassischen Handel?)
- eBay zeigt mit PayPal, wie Finanzservices im Privatkundengeschäft sehr einfach betrieben werden (was bedeutet dies für die Bank-Filiale vor Ort bei Ihnen)
Natürlich bleiben solche Entwicklungen, wo kleine aufstrebende Unternehmen sehr große und etablierte Unternehmen Marktanteile abjagen, nicht ohne Folgen für die Arbeitswelt. Heute schon konkurrieren die großen Unternehmen und Beratungen beim Recruiting mit Startups. Die Zahlen zwar wenig, bieten aber Hoffnungen auf großartigen Erfolg und – das ist der wesentliche Grund – bedienen eine der zentralen Bedürfnisse der Generation Y und Z – Selbstverwirklichung! Starre Organisationsmodelle, lineare Führungsstrukturen und
Mosaik-Karriere ist der Idealkandidat
Wer zu häufig den Job wechselt, kann nicht gut sein
Das ist ein Zitat aus einem sehr lesenswerten Beitrag von HENRIK ZABOROWSKI in seinem Blog-Beitrag Warum unsere Personalauswahl nichts taugt – und “Brüche” die neuen Geraden sind! Passt zu meinen Gedanken Mosaik-Karriere und der Idealkandidat: A-Kandidat: 21 Jahre, 6 Semester Regelstudienzeit, kurze Praktika, 1,x Abitur, 1,x Bachelor. Relevanz für den Beruf herstellen ist elementar!
Das bedeutet, wenn wir mit dem gleichen Maßstab und Selektionsprozess, den die heutigen Führungskräfte selbst erlebt und durchlaufen haben, weiter rekrutieren, rekrutieren wir an der enger werdenden Zielgruppe und den Bedürfnissen, die Unternehmen für die Herausforderungen der Zukunft aufzustellen, vorbei. Das ist die zentrale Chance für HR als Talent-Funktion mit den Disziplinen Recruiting und Employer-Branding (sowie den anderen, die ich aber nicht näher beleuchte) erfolgreich die Digitalisierung zu begleiten, mithin sogar diese führend in den Unternehmen zu managen.
Wandel der Arbeitswelt
Fakt ist, dass sich die Arbeitswelt verändert und heute schon die Maßstäbe aus den Neunzigern nicht mehr anlegen lassen. Das ist eine der elementarsten Veränderungen, denen sich heutige Führungskräfte stellen müssen. Wer heute die Realität und Wahrheit ignoriert, wird selbst nicht mehr relevant sein für seinen Arbeitgeber! Und da kommt Peter Kruse wieder ins Spiel:
Linienhierarchie und kennzahlengesteuertes Management sind nicht mehr zeitgemäß. Die Führungskultur ist im Umbruch. Davon ist Management-Vordenker Peter Kruse überzeugt.
Peter Kruse, Managementvordenker
Das schreibt er in einem wunderbaren Beitrag auf cio.de/…/warum-fuehrung-heute-anders-geht. Über die Arbeitswelt und deren Wandel sprach er bei der Xing-Network-Night, siehe hier:
Quo vadis HR?
Machen wir uns zuständig für den Wandel! Und damit zuständig für die Digitalisierung!
Beste Grüße
Marcus Reif
Ein sehr interessanter Beitrag, der genau die Themen anspricht, mit denen auch ich mich momentan beschäftigte. Danke für die konkreten Zusammenfassungen und weiterführende Links!
So lange wir in der Wahrnehmung des Business den Amtsbudenmuff von 1980 verströmen werden wir auch nur als solche wahrgenommen, wir müssen unseren Mehrwert und unsere Projekte klarer kommunizieren und verkaufen. Das umzusetzen ist auch garnicht so schwierig, stellen wir doch zunächst mal den Recruitingprozess auf den Prüfstand, in vielen Unternehmen ist dieser immer noch viel zu Rückständig. Ob es jetzt Digital ist oder Analog, ist dabei garnicht mal so ausschlaggebend, denn viele HR/Personalabteilungen tippen noch Briefe auf der Schreibmaschine (Sorry, liebe Kollegen, meine Erfahrungen als Bewerber kann ich so einfach nicht vergessen….. Obwohl mich der Prozess auch Dankbarkeit gelehrt hat, Dankbarkeit für ebenjene Kollegen die es anders machen) so hat es jedenfalls den Anschein. Im Recruiting ist eine Schnittmenge zwischen Business und HR, also bekommt jeder Linievorgesetzte mit wenn sich in diesem Bereich etwas tut. Wenn die Ergebnisse sich dann noch kurz- bis mittelfristig als deutlich besser herausstellen, dann hat man auf einmal auch eine Basis die gemeinsame Arbeit auf die Zukunft auszurichten und die Ansprüche von HR und Business in eine für beide Seiten angenehme Richtung zu matchen. Machen wir uns nichts vor, wir sind Dienstleister, aber unsere Kernkompetenzen werden sich verschieben. Ich glaube kaum dass die Abwicklung der Payroll im Rahmen der Digitalisierung noch allzu lange von Sachbearbeitern erldigt werden muss….