Die Bedeutung der Arbeitgeberattraktivität ist in den letzten 20 Jahren enorm gestiegen. Die Megatrends Demografie, Technologisierung und Digitalisierung sowie der Wertewandel der Generationen verschafften uns Peoplemanagern einen hohen Druck auf das Recruiting, denn aus einem Arbeitgebermarkt wurde ein konzentrischer Arbeitnehmermarkt. Die passenden Mitarbeiter zu gewinnen ist zu einer geschäftserfolgskritischen Disziplin in den Unternehmen geworden. Und nicht nur die Personalgewinnung ist essenziell, nein, durch die rasant gestiegene Fluktuation ist die Talentebindung ebenfalls in der Bedeutung gestiegen. Die Entscheidung für eine lebenslange Karriere gehört ebenfalls der Vergangenheit an. Die Portfolio-Karrieren sind der neue lineare Lebenslauf.
Der Aufbau einer Employer-Branding-Einheit folgt der Wirkung aus den Megatrends, hat aber nichts mit der Ursache zu tun. Mehr Aufwand und mehr Budget in bunte Broschüren, schicke Karriereseiten und Hochschulmarketing zu stecken, hilft wenig, die Ursache für Fluktuation zu bekämpfen. Ein Beispiel gefällig? Gerne:
Die Mitarbeiter in den Unternehmen sind zu beschreiben wie ein Fass voll Wasser. Im Boden ist ein Loch. Dieses Loch wird Jahr für Jahr größer. Das ist die Fluktuation. Die strategische Entscheidung der meisten Unternehmen auf diese Herausforderung? Mehr Wasser!
Das ist doch irrsinnig! Wir kümmern uns nur um die Wirkung, nicht die Ursache. Die einfachste Analyse bei Fluktuation ist die Frage: weshalb kündigen die Mitarbeiter? Auch diese Analyse kann zu falscher Interpretation führen, sehen Sie meinen Beitrag hier: Kündigungen – wir vertauschen Ursache und Wirkung und analysieren falsch
Employer-Branding ist ein Resultat!
Das Resultat des Employer-Brandings ist ein Perspektivenmix. Plattformen, wie Glassdoor oder Kununu, geben potenziellen Mitarbeitern einen realistischen Blick auf die interne Kultur. Das Ergebnis des Employer-Brandings ist eine Mischung, die aus subjektiven Elementen entsteht. Aus Wahrnehmungen, aus Erzählungen, aus Beobachtungen, aus Mutmaßungen, eben aus Erlebten. Oft klafft zwischen diesen Perspektiven und der Wirklichkeit eine Lücke. Das ist Chance und Risiko für das Employer-Branding gleichermaßen. Die Diskrepanz ist aber managebar. Employer-Branding ist das Ergebnis aus:
- der wahrgenommenen Attraktivität eines Unternehmens als Arbeitgeber
- der wahrgenommenen Kultur und Führung
- den wahrgenommenen Werte und soziale Verantwortung
- Markterfolg, Leuchttürme und Botschafter in Führung, Profession und im Business
… und ob das Wahrnehmungen, Erfahrungen oder Mutmaßungen sind, ist unterm Strich nebensächlich. Perception is reality!
Employer-Branding ist in der Realität oftmals nur eine Fassade, die als Leistungsversprechen gilt. Wird durch die attrahierten neuen Kollegen festgestellt, dass diese Leistungsversprechen im Alltag nicht eingelöst werden, ziehen diese deutlich schneller die Konsequenz und kündigen. Die Frühfluktuation ist das, was wir dabei messen. Ein zu artifiziell oder zu gut gestaltetes Employer-Branding kann also zu einem Paradoxon werden und das Gegenteil bewirken! Fluktuation steigt und Mitarbeiterzufriedenheit sinkt.
Employer-Branding ist kein Prozess, keine Abteilung. Employer-Branding ist ein Resultat!
Ich habe nur sehr wenige Unternehmen erlebt, die ein wirklich authentisches Employer-Branding vom CEO bis hin zu den Kollegen am Empfang leben. Employer-Branding ist selten authentisch, selten in der Realität zu erleben. Nur wenigen Organisationen gelingt dies. Ein gutes Employer-Branding sollte wirken können, erlebbar sein und Mehrwert für alle Beteiligten generieren.
Die meisten Employer-Brands entstehen aus der Corporate-Brand. BMW, Porsche und Mercedes stehen bei Trendence und Universum ja nicht so weit oben, weil sie besondere Sozialleistungen haben, sondern weil die Absatzmarke die Arbeitgebermarke überstrahlt. Ein typischer Spill-over-Effekt (oder in der Marketingtheorie Vampireffekt genannt), wo die positiven Attribute einer Betrachtung auf andere abstrahlen.
Was ganz sicher nicht zu einer modernen und positiv wahrgenommenen Arbeitgebermarke gehört, ist der Tischkicker. Ich bin mir immer noch nicht sicher, weshalb 184 Stellenanzeigen auf StepStone.de (am 28.07.2019 um 10:45 Uhr) mit dem Tischkicker trumpfen. Nur die Tischkickerindustrie profitiert davon, sonst niemand.
Beginnen wir mit dem strategischen Teil:
Employee-Value-Proposition
Die Employer-Value-Proposition definiert das Angebot und Wertversprechen eines Arbeitgebers an seine Mitarbeiter und künftige Talent im Einklang mit der Business-Strategie und den Unternehmenswerten.
Bleiben Sie authentisch. Denn wie viele Firmen sagen von sich, dass sie ein “great place to work” sind, ein “attraktiver Arbeitgeber”, ein “hidden champion” oder was auch immer. Die Aussagen sind – wie viele EVPs, die man sich so durchlesen kann – austauschbar und eben nicht authentisch.
In den letzten Jahren verschoben sich die Schwerpunkte bei der EVP. Die Vergütung stand vor 20 Jahren noch deutlich mehr im Zentrum als heute. Heute sind es kulturelle Elemente, welche Führung wünsche ich im Alltag und zielgerichtet für meine berufliche Entwicklung, welche Tätigkeiten wünsche ich mir, welches Umfeld, wie lösungs- oder problemorientiert darf ich sein, welches Maß an Freiheit und welchen Freiraum darf oder muss ich füllen, wie stark ist das Micromanagement im Unternehmen, wie intensiv wird Feedback gelebt, welche Rolle spielt Augenhöhe, Selbstverantwortung und so weiter. Natürlich ist dann die Vergütung der ausgeschriebenen Stelle, die Aufstiegsmöglichkeiten für die Arbeitnehmer und populäre Benefits von Kantine über Fitnessstudio bis zu Concierge-Services auch ein Teil der EVP.
Tipps für eine EVP
- bauen Sie eine authentische und glaubwürdige Employer-Brand
- setzen Sie für sich die Schwerpunkte Ihrer EVP als Leitlinien auf
- nutzen Sie Storytelling und Social-Media, um diese Schwerpunkte in Ihre Arbeitgeberkommunikation einzubauen
- entwickeln Sie einen Bewerbungsprozess, bei dem Sie sich mit Ihrer EVP bei den Bewerbern bewerben – und zwar ernsthaft!
- bauen Sie eine Candidate-Journey auf, die glaubhaft und nachhaltig positiv und erfolgreich wirkt
- schulen Sie Ihre Führungskräfte, Sie sind erste Botschafter Ihrer Werte und der EVP
EVP life hacks
- schauen Sie sich Ihre Wettbewerber auf dem Arbeitsmarkt an. Lernen Sie auch von diesen Arbeitgebern, was sie gut machen
- nutzen Sie Ihre “High Performer” im Unternehmen als Soundingboard. Sie haben damit eine gute Resonanzkammer für Ihre EVP
- binden Sie erst danach Ihre Führungskräfte ein
- vertrauen Sie auf Daten – Sie haben über die Jahre hinweg viele Bewerbungen erhalten, Mitarbeiter eingestellt und entwickeln, wahrscheinlich haben auch Mitarbeiter gekündigt. Arbeiten Sie mit diesen Daten, bspw. auch …
- durch Ihre regelmäßigen Mitarbeiterbefragungen, Befragung Ihrer Bewerber (aller) sowie derjenigen, denen Sie ein Angebot unterbreiten
- eine EVP wird niemals fertig. Denken Sie daran, dass Sie Ihre EVP kontinuierlich weiterentwickeln. Diese “Life Hacks” können Sie routiniert einmal im Jahr zur tiefen Weiterentwicklung der EVP nutzen
Dies hier kann nicht mehr als ein kleiner Appetithappen sein. Die Erarbeitung einer EVP ist keine “two days, two slides”-Aufgabe. Sie haben hier eine strategisch höchst relevante Aufgabe zu erledigen, die richtig Einfluss auf Ihre Kultur, Führung und somit Zukunft- und Innovationsfähigkeit hat. Viele unterschätzen dies, weil die EVP doch oft und fälschlich als Marketing-Blingbling missverstanden wird. Sie beschreiben mit der EVP den Wertekern und Ihre DNA. Das ist Ihre Handlungsmaxime!
Vorteile einer guten EVP
- Sie differenzieren sich klar von Ihren Wettbewerbern
- Sie erreichen eine deutlich wahrnehmbare Arbeitgeber-Definition, die auch auf Ihre Mitarbeiter wirkt und Fluktuation senken kann
- Sie bewerben sich gezielter bei Ihren Zielgruppen auf dem Arbeitsmarkt
- Sie stimulieren den Wandel Ihrer Kultur und Führung und generieren damit Innovationsfähigkeit
Viel Erfolg bei Ihren nächsten Schritten!
Beste Grüße
Ihr Marcus K. Reif
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