Tim Verhoeven hat zu einer Blog-Parade aufgerufen: Recruiting-Learnings durch Corona. Dem Ruf leiste ich gerne Folge mit meinem kleinen Beitrag rund um Remote-Interviews während der Pandemie. Wie Sie erfolgreiche Remote-Interviews während der Pandemie durchführen #recruitinglearnings2021
Die Candidate-Experience schwebt über allem und die Kandidaten sollten immer im Zentrum unseres Handelns stehen. Das ist nicht besonders neu. Doch trotzdem behandeln wir die Kandidaten nicht immer so, als ob wir uns bei ihnen bewerben würden. Zu oft müssen Kandidaten durch den Ring des Hiring-Managers springen. Und das ganz losgelöst von der Tatsache, ob das zu einer objektiven und auf die Prognose für künftige Leistung bezogenen Personalauswahl passt. Das alles findet in einem Zeitalter statt, indem die Talente knapp sind, die Kompetenzen sich und die Unternehmen sich selbst wandeln müssen, um auch weiterhin noch relevant zu sein. Die Fähigkeit, die besten Talente mit den richtigen Kompetenzen zu gewinnen, bleibt also eine der zentralen Elemente. Daran hat auch die Pandemie wenig geändert, auch wenn OPEX-Management derzeit wichtiger scheint als die Talentegewinnung.
COVID-19 hat Auswirkungen auf so ziemlich alles, auch auf die Art und Weise, wie wir Unternehmen neues Personal gewinnen. Viele Personaler, Recruiter und Hiring-Manager beschäftigen sich derzeit verstärkt mit Video-Interviews. Viele Fragen stehen im Raum. Sind diese Video-Interviews rechtlich zulässig, von den Bewerbern akzeptiert, wie handhaben wir die Gespräche und reichen diese virtuellen Begegnungen aus, um eine solide Einstellungsentscheidung zu treffen? Kurzum: ja! Alles geht.
In gar nicht so weit entfernten Zeiten waren die heutigen Video-Konferenzen noch reine Telefonkonferenzen, die in vielen Fällen als Hintergrundmelodie zum Bearbeiten von E-Mails, Exceltabellen oder PowerPoint-Präsentationen diente. Video-Meetings haben Vorteile und Nachteile. Der Vorteil ist natürlich, dass man sich sieht. Nachteile sind, dass sie von der Arbeit abhalten und nicht zielgerichtet sind. Eben das gilt auch für die Personalgewinnung.
Tipps für Video-Interviews
Nutzen Sie eine weit verbreitete Technik, die es Ihren Kandidaten einfach macht, sich einzuwählen. Keine Technologie, die niemand kennt, die etliche Plugins und Treiber benötigt. Achten Sie darauf, dass die Zugangsdaten und Informationen mehrere Tage vorher bei Ihren Kandidaten eingehen. Keine Überraschung – das gilt auch für Sie als potentieller Arbeitgeber! Seien Sie unbedingt vorbereitet auf Ihr Gegenüber. Kennen Sie die Vita des Kandidaten und beginnen Sie die Videokonferenz ebenso mit Smalltalk, so wie Sie es auch in einer physischen Begegnung tun würden.
Die Begrüßung ist virtuell nicht anders als in einem Raum, sie findet einfach nur ohne Handschlag statt. So viele fehlende Eindrücke sehe ich nicht bei einer reinen virtuellen Bewerbungssituation. Wir sind eben konditioniert, den Menschen vor uns zu betrachten. Leider sind unzulässige Beurteilungselemente dabei vorherrschend, beispielsweise Bauchgefühl. Dieses führt unweigerlich zu einer Fehleinschätzung der Eignung und Kompetenz. Somit sind reine Videointerviews doch eine echte Chance, zu einer verlässlichen Einschätzung von Eignung, Kompetenz und eben zukünftiger beruflicher Leistung zu kommen.
Im Grundsatz gilt, dass die gleichen Attribute für ein Präsenz-Interview auch für das Video-Interview gelten. Wir dürfen nicht glauben, dass der Wechsel des Mediums – also vom physischen Treffen in einem Raum zu einer Video-Konferenz – zu einem anderen Ansatz bei der Beurteilung der Eignung führten müsste. Sie müssen vorbereitet sein, müssen Ihren Arbeitgeber bestens repräsentieren, Sie sind Botschafter Ihres Unternehmens. Dabei bleibt das Smartphone stumm und das Notebook unangetastet. Führen Sie teilstrukturierte Interviews durch. Notwendige Unterlagen, bspw. kleine Fallstudien, verschicken Sie bitte mit mehreren Tagen Vorlauf. Prüfen Sie die wichtigen Softskills für die Vakanz (das sollten Sie vorher aber sauber erhoben haben, keine Ad-hoc-Selektion!) und schauen Sie, dass die Anforderungen an die Kompetenzen im Einklang mit Ihrer Personalauswahl stehen.
Natürlich gibt es auch virtuell die gängigen Fauxpas: Verlieren Sie nicht den Fokus. Auch für Kandidaten gilt, von Anfang bis Ende gilt das Video-Interview der Abprüfung, ob das Unternehmen sich für einen entscheiden wird. Von der ersten bis zur letzten Minute muss man voll da sein, den Fokus auf die eigenen Stärken und Kompetenzen legen und – das dürfte das Wichtigste sein – stets auf die eigene Relevanz für den Wunscharbeitgeber hinwirken.
Eine gute Candidate Experience bezieht sich immer auf die gegebene Situation. Ob die nun virtuell oder physisch in einem Raum entsteht, ist im Grunde eigentlich nicht relevant. Man kann physisch und virtuell ein hervorragendes oder unterirdisches Erlebnis des gesamten Prozesses erleben. Natürlich ist es nicht für alle Generationen im Wirtschaftsleben naheliegend, sich auf virtuelle Medien einzulassen. Da kann die Gefahr bestehen, dass sich manche mit Video-Interviews unwohl fühlen und somit nicht der absolut beste Botschafter Ihres Unternehmens sind.
Rechtliche Betrachtung
Datenschutzseitig gibt es Zweifel an der Zulässigkeit von Videointerviews. Die Landesdatenschutzbehörden in Berlin und NRW vertreten die Auffassung, dass Bewerberinterviews per Skype oder zeitversetzte Videointerviews datenschutzrechtlich im Regelfall unzulässig sind. Zunächst ist der Datenschutz Ländersache, dennoch lassen diese Zweifel aufmerken.
Die neue “DIN Spec” sieht dagegen einen weitgehenden Einsatz von Videotools mit Aufzeichnungsfunktion unter Einbeziehung von künstlicher Intelligenz vor, allerdings stellt diese dagegen keine datenschutzrechtliche Erlaubnisnorm dar und ist damit datenschutzrechtlich irrelevant. Hier finden Sie mehr Informationen zur “DIN Spec 91426 – Qualitätsanforderungen für video-gestützte Methoden der Personalauswahl (VMP)“
Sie können den Zweifeln an der Datenschutzkonformität dadurch begegnen, dass Sie mit der Einladung zu einem Video-Interview die Einwilligung für ein Video-Interview einholen. Dies muss gesondert sein, konkludent durch die Annahme der Einladung ist keine Einwillig geschehen. Der Bewerber steht immer in einem Abhängigkeitsverhältnis, da er sich in bestem Licht präsentieren möchte und wenig Forderungen stellen wird zu diesem Zeitpunkt seines Bewerbungsverfahrens. Für eine wirksame Einwilligung ist entscheidend, dass dem Bewerber eine echte Wahlmöglichkeit gelassen wird.
Um das Video-Interview mit einer wirksamen Einwilligung des Bewerbers nach § 26 Abs. 2 Bundesdatenschutzgesetz zu legitimieren, sollten Unternehmen daher Bewerbern anbieten, dass das Interview entweder in Form eines persönlichen Gesprächs oder via Video-Interview durchgeführt werden kann. Das führt auf seiten der Recruiter sicherlich zu Schwierigkeiten, insbesondere bei der zeitlichen Disposition während der Pandemie und etwaigen Rotations-Modellen oder Remote-Working.
Auf eine Aufzeichnung des Video-Interviews sollten sie hingegen verzichten. Zum einen begegnen Sie dadurch einem Zweifel aus dem Datenschutz heraus, zum anderen nehmen Sie ja auch ihre physischen Bewerbergespräche auch nicht auf. Also muss die Sinn-Frage erlaubt sein: wozu das aufnehmen?
Beste Grüße
Ihr Marcus K. Reif
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