Willkommen auf dem Blog von Marcus K. Reif | Meine Arbeit gibt Ihnen Zeit für Ihre!

In der heutigen Welt erschien ein Artikel über das Phänomen “Ghosting” im Bewerbungsprozess. Ich durfte dankenswerterweise meine Perspektive beisteuern.

In Zeiten von Online-Bewerbungen erhalten Jobsuchende immer öfter gar keine Rückmeldung. Oder das Unternehmen taucht nach dem Vorstellungsgespräch ab. Was gegen „Ghosting“ im Berufsleben hilft

Bekannt ist Ghosting als die plötzliche Flucht beim Dating. Da scheinen sich zwei näher kennenlernen zu wollen, schreiben sich in sozialen Medien oder bei WhatsApp, haben sich vielleicht sogar schon einmal persönlich getroffen. Doch von einem auf den anderen Tag ist der andere verschwunden. Nachrichten bleiben unbeantwortet, Anrufe werden nicht mehr angenommen. Das Gegenüber zieht sich wie ein Geist aus der Verantwortung. Er oder sie „ghostet“.

Das Phänomen gibt es nicht nur im Liebesleben. Auch Unternehmen werden plötzlich zu Geistern – nach Bewerbungen. Am Ende des Vorstellungsgesprächs hieß es noch: „Wir melden uns.“ Doch dazu kommt es nie. Der Bewerber muss sich nach einer Alternative umsehen. Einer Befragung des Personaldienstleisters Robert Half zufolge entschieden sich 62 Prozent der Arbeitnehmer schon einmal für ein Jobangebot, das erst an zweiter Stelle auf ihrer Wunschliste stand. Denn das Unternehmen, das sie eigentlich bevorzugten, meldete sich zu lange nicht zurück.

Jürgen Hesse unterstützt als Karriereberater Arbeitnehmer und Arbeitgeber bei Fragen zu Bewerbungen und zur Personalentwicklung und kennt beide Seiten. Dass es Parallelen zum Dating gibt, findet er nicht verwunderlich. Für den Bewerbungscoach ist das Anschreiben nichts anderes als ein Liebesbrief und ein Vorstellungsgespräch vergleichbar mit einem Rendezvous. Hesses Beobachtung ist aber, dass das Ghosting im Berufsleben viel früher einsetzt – nämlich schon beim Erstkontakt. „Wenn Sie zehn Bewerbungen rausschicken, können Sie davon ausgehen, dass Sie von drei bis vier nie wieder etwas hören“, sagt der Coach.

Auch Recruiting-Experte Marcus Reif beobachtet einen solchen Trend: „Wir erleben es viel zu oft, dass Rückmeldungen an Kandidaten ausbleiben“, sagt er. Bewerber bekämen nach einer Eingangsbestätigung in vielen Fällen gar keine Rückmeldung mehr. Reif ist seit 25 Jahren in der Personalwelt aktiv, als Personalleiter, -entwickler und -berater für beispielsweise Goldman Sachs, Kienbaum oder Ernst & Young. In den letzten Jahren hat sich in seinen Augen einiges im Bewerbungsprozess verändert. Das hat auch damit zu tun, dass Online- und E-Mail-Bewerbungen stark an Bedeutung gewonnen haben.

Was zunächst digital und modern klingt, hat seine Tücken und ist Teil des Kernproblems, erklärt Reif: „Über solche speziellen Plattformen oder Mailadressen kommen bei den Firmen sehr viele Bewerbungen an, natürlich auch sehr viel unpassende“, sagt der Recruiting-Experte. „Jeder kann sich heute relativ schnell per Knopfdruck bewerben.“ Zum Teil gehe das sogar über soziale Netzwerke wie LinkedIn. Wenn ein Unternehmen dann nicht gut strukturiert sei und keine Standards etabliert habe, um die Masse zu filtern, komme es oft ins Straucheln. „Je aufwendiger so ein Prozess ist, desto aufwendiger ist es auch, Fehler zu vermeiden“, sagt Reif.

Die Folge: Bewerbungen können schlichtweg unbeachtet bleiben oder sogar verloren gehen – auch von guten Bewerbern. Das beobachtet auch Karriereberater Hesse: „Es ist schon passiert, dass es dem Unternehmen peinlich war und man sich gedacht hat, dass eine Rückmeldung nach drei Wochen ohnehin keinen Sinn mehr macht.“ Also „ghostet“ das Unternehmen – und meldet sich gar nicht. Bewerber sollten deshalb aber nicht gleich aufgeben. „Er oder sie darf nach drei bis fünf Werktagen höflich nachfragen, ob die Firma die Unterlagen erhalten hat“, empfiehlt Hesse. Das sei völlig legitim. Der beste Weg ist dabei nicht unbedingt das Telefon, weiß Personalexperte Reif: „Besteht noch kein tieferer Kontakt, wenden Sie sich über die allgemeine E-Mail-Adresse an das Recruiting“, rät er.Anzeige

Anstrengender ist es für Bewerber jedoch, wenn das Unternehmen nach einem ersten Kontakt „ghostet“. Gab es bereits ein Telefonat oder sogar ein Vorstellungsgespräch und danach meldet sich niemand mehr, rät Recruiting-Experte Reif, sich mit der zuständigen Kontaktperson auf Xing und LinkedIn zu vernetzen. „Schreiben Sie den Ansprechpartner direkt an.“ Bewerbungscoach Hesse geht auch über den Weg des persönlichen Anrufs. Er empfiehlt seinen Bewerbern, sich beim Vorstellungsgespräch den Namen der Sekretärin geben zu lassen. „Man hat nicht immer gleich den Personalentscheider am Telefon“, sagt Hesse.

Der Experte rät zudem, am besten gleich im Bewerbungsgespräch entscheidende Fragen zu klären – das signalisiert nicht nur Interesse, sondern bietet auch die Chance, im Vorfeld wichtige Punkte zu klären. Dazu zählt auch die Frage, wann das Unternehmen sich wieder meldet oder ob der Bewerber in einigen Tagen selbst nachhorchen soll. „Man sollte darauf achten, dass am Ende des Gesprächs eine halbwegs verbindliche Vereinbarung steht“, sagt Hesse. Darüber hinaus dürfen auch weitere Fragen offen gestellt werden, wie: „Hand aufs Herz, welche Chancen sehen Sie für mich?“ So können Bewerber besser einschätzen, ob sich das Warten auf eine Rückmeldung überhaupt lohnt.

Gab es mehrere solcher Gespräche, kann es für Jobkandidaten schon komplizierter werden. Das Lieblingsunternehmen meldet sich nicht, während einem die Firma, die nicht besonders weit oben auf der Wunschliste steht, direkt zusagt. Dann ist der Vertrag in trockenen Tüchern, und plötzlich kommt der Favorit doch noch um die Ecke. Um solche Probleme zu vermeiden, sollten Bewerber vor Vertragsabschluss nach ein bis zwei Wochen Bedenkzeit fragen. Zudem sollten sie dem Unternehmen nicht direkt auf die Nase binden, dass es einen anderen Favoriten gibt. Erlaubt sei die Bitte, den Vertrag in Ruhe lesen zu dürfen, sagt Hesse. Denn: „Wenn Sie erst einmal Ja gesagt haben, kann es richtig schwierig werden.“

Das bestätigt auch Rechtsanwalt Christopher Müller. Er hat die Erfahrung gemacht, dass Unternehmen teilweise in den Arbeitsverträgen Klauseln festhalten. „Aus denen ergibt sich, dass sich der Arbeitgeber, wenn der zukünftige Arbeitnehmer vor Vertragsantritt kündigt, Schadenersatzansprüche für einen solchen Fall vorbehält.“ Inwieweit diese dann wirklich in der Praxis umgesetzt würden oder gar vor Gericht haltbar seien, sei eine andere Sache, so der Arbeitsrechtler.Anzeige

Doch Müller findet die Sicht des Arbeitgebers nachvollziehbar. Schließlich stelle dieser Ressourcen für die Akquirierung von Personal zur Verfügung, sei es in Form von Vorstellungsgesprächen oder möglichen Praktika. Bewerbungscoach Hesse hat ebenfalls beobachtet, dass Unternehmen in solchen Fällen allergisch reagieren. Auch wenn viele Firmen den juristischen Weg nicht einschlugen, sei der Bewerber dennoch als zukünftiger Mitarbeiter verbrannt, gibt er zu bedenken.

Wer eine Zusage erhält, die er eigentlich nicht wünscht, sollte das deshalb klar sagen – und nicht einfach schweigen. Hesse fällt immer wieder auf, dass Jobkandidaten Schwierigkeiten damit haben, unangenehme Nachrichten zu verkünden. „Das löst natürlich keine Begeisterung aus“, sagt er. Doch alles andere sei unprofessionell. Es sei nur fair, wenn man mitteile, dass man sich bereits für ein anderes Unternehmen entschieden habe. Lässt es sich nicht vermeiden, spät doch noch von einem Job abzuspringen, sollten Bewerber das Gespräch suchen, empfiehlt Recruiting-Experte Reif. „Man sollte in voller Offenheit auf das Unternehmen zugehen, ihnen erklären, dass es zweite Wahl war, und um Verständnis bitten, dass man vor Amtsantritt kündigt.“

Quelle: Print-Welt vom 7. Juni 2019 sowie online auf welt.de/…/Und-ploetzlich-herrscht-Funkstille

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