Ja, so habe ich auch geschaut als ich im Januar den Artikel “Mit „Sehr geehrte Damen und Herren“ machen Sie schon den ersten Fehler” auf Welt.de gesehen hatte. Da gibt wirklich jemand Ratschläge aus dem letzten Jahrhundert, denn in der Lebenswirklichkeit der heutigen Recruiting-Einheiten gibt es Zuständigkeiten in der Abfolge, die den Ratschlag ad absurdum führen. Selbst im Mittelstand, der ebenso mit der Talenteknappheit zu kämpfen hat, haben webbasierte Bewerbungsmanagementtools Einzug gehalten. Diese Tools, fachlich ATS – also Applicant Tracking System – genannt, helfen beim Schalten der Stellenanzeigen, vereinfachen den strukturierten Eingang von Bewerbungen und der Selektion dieser auf die Vakanzen.
Das letzte Mittel, was Bewerbern helfen sollte, wäre ein persönlicher Ansprechpartner. Aber genau das ist die Empfehlung, die durch den Artikel als hilfreich beschrieben wird. Niemanden in der Personalabteilung oder in den Fachbereichen interessiert das Anschreiben, noch weniger, welcher Ansprechpartner oder Anredeform darauf verwendet wird. Wieso geben überregionale Medien, zu denen die Welt zweifelsohne gehört, solchem Unsinn denn Reichweite?
Maschinenlesbarer Lebenslauf
Ein viel besserer Tipp, den ich von einem Qualitätsmedium erwartet hätte, wäre das Auseinandersetzen mit der Lebenswirklichkeit. Denn in der Realität kann ein maschinenlesbarer Lebenslauf mit Bewerbungs-relevanten Anhängen einen Vorteil bringen, insbesondere dort, wo die Applicant-Tracking-Systeme mit einem Parsing eingesetzt werden, also der maschinellen Analyse des Lebenslaufs, um Bewerbungen automatisch zu erfassen und weiterzuverarbeiten. Hierzu hatte ich im Oktober 2020 mal gebloggt: Die Mär vom persönlichen Ansprechpartner im Unternehmen für meine Bewerbung
Anschreiben aus der Zeit gefallen
Seit einigen Jahren schon ist aus diesen Gründen – Nutzung von Anschreiben bei der Personalauswahl, Einsatz der Applicant-Tracking-Systeme und unnötiger Aufwand auf Kandidatenseite – das Anschreiben unter Beschuss. Mit der technischen Entwicklung – ich möchte hier nur auf OpenAI und den Chat-Bot ChatGPT hinweisen und meinen Beitrag Wenn die KI bessere Texte schreibt als Sie selbst – OpenAI mit dem Bot “ChatGPT” – liegt es doch auf der Hand, dass die Aussagekraft eines Anschreibens aus der Zeit gefallen ist. Viel besser investiert man die Zeit in ein Motivationsschreiben, um ein Matching der eigenen Persönlichkeit, Kompetenzen, Erfahrungen und Biografie in Einklang zu bringen mit der Vakanz, auf die man sich bewirbt, siehe auch hier: Motivationsschreiben bei Bewerbungen.
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FORMULIERUNGEN IN BEWERBUNGEN: Mit „Sehr geehrte Damen und Herren“ machen Sie schon den ersten Fehler
Artikel in der Welt
Floskeln: Im ersten Absatz wird Bezug genommen auf Floskeln im Anschreiben. OK, aber wo ist die News? Jeder versucht in der Bewerbungskorrespondenz mit einem elaborierten Code Professionalität zu unterstreichen. Ist das ein Verbrechen oder muss man das kritisieren? Nein!
Es gibt Sätze, mit denen hat man als Bewerber schon verloren. Damit schießt man sich direkt ins Aus, egal wie gut man ist und was man kann. „Sehr geehrte Damen und Herren, hiermit bewerbe ich mich als …“ ist so ein Satz.
Artikel Welt.de, 05.01.2023
Personalentscheider als Adressat: Keinen persönlichen Ansprechpartner zu nennen würde einen schlechten Eindruck hinterlassen. Wie oben beschrieben, der total sinnloseste Tipp überhaupt. Niemand in den Unternehmen schaut auf den Adressaten. Gut, wenn man sich bei Unternehmen A mit dem Anschreiben für Unternehmen B bewirbt, wirft das schon Fragen auf. Aber ob dort “Sehr geehrte Damen und Herren” oder “Liebe Frau Müller” steht hat keinerlei positiven oder negativen Effekt auf Ihre Bewerbung!
Mich ärgert dabei aus eigener Erfahrung, dass unzählige Bewerber in den Unternehmen anrufen und sich zu den betreffenden Personalentscheidern durchfragen. Das kostet Unmengen an Zeit und ist total überflüssig. Den Bewerber nervt es, die Mitarbeiter im Unternehmen genau so.
Lebenslauf nicht im Anschreiben wiederholen: Guter Tipp, nutzen Sie das Anschreiben als Motivationsschreiben. Machen Sie klar, weshalb Sie einen Termin für ein Interview bekommen sollten. Denn dafür dient die Bewerbung, sie ist ein Einstieg in den Bewerbungsprozess. Der nächste Meilenstein ist ein telefonisches Interview, Video- oder Präsenzinterview.
Konjunktiv vermeiden: “Ich würde mich sehr auf ein Gespräch freuen” versus “Ich freue mich auf die Einladung zu einem Gespräch”. Klingt netter, aber in einem engen Markt ist die Verwendung des einen oder anderen ohne negative Auswirkung. Die Unternehmen haben die Selektionsarroganz aus dem letzten Jahrhundert abgelegt.
Anforderungen mit Beispielen hinterlegen: “Ich bin teamfähig” versus “In einer Arbeitsgruppe zum Thema XYZ konnte ich mit 15 Kollegen an … arbeiten”. Klar, sprachlich viel besser. Ist konkreter und haptischer.
Länge des Anschreibens: Das Anschreiben sollte nicht länger als eine Seite sein. Als Personaler sage ich da nicht klar ja, denn wenn es etwas zu erzählen gibt, was die Motivation für die Stelle unterstreicht, lese ich auch gerne mehr als eine Seite. Da ist noch ein lustiges Bonmot in dem Artikel. Herr Hesse empfiehlt: „Gehen Sie sparsam mit der Zeit des Personalchefs um“. Kennen Sie Personalleiter, die Bewerbungen lesen? Also nicht fallweise, situationsbedingt mal eine, sondern generell? Ich auch nicht.
Mein Tipp: Bleiben Sie authentisch, werden Sie relevant. Machen Sie eine kurze Analyse der Stellenanzeige, welche Skills als Anforderungen genannt werden. Schreiben Sie dann als Geschichte anhand des Ansatzes Storytelling mit der STAR-Methode eindrucksvoll mit Beispielen beschrieben. Sie finden das hier ein wenig detaillierter: Ultimative Tipps für Ihr nächstes Job-Interview. Mit Storytelling erfolgreich sein. Sie müssen mit Ihrer Bewerbung nur ein Ziel erreichen: Dass Ihr Gegenüber Sie als relevant für die Stelle betrachtet.
Viel Erfolg bei Ihrer Bewerbung. Die Marktsituation gibt Ihnen Rückenwind!
Beste Grüße
Ihr Marcus K. Reif