Kaum jemand kommt um einen Artikel rund um anstehende Trends herum. Ich schaue auf die Schwerpunkte unserer Arbeit im Personalwesen und sehe, dass sich die Verhältnisse und Gewichte geändert haben. Wir haben immer noch die Megatrends demografischer Wandel, Wertewandel und Technologisierung, darüber hinaus kommt mit der künstlichen Intelligenz neue Software in unser Portfolio, anspruchsvolle Mitarbeitergenerationen und neue Arbeitsmodelle, das Bewältigen von Krisen und deren Auswirkung auf unser Geschäftsmodell sowie das personalseitige Orchestrieren der nötigen Innovationsfähigkeit, um als Firma zu überleben.
Doch gibt es wirklich Trends für das Jahr 2024? Lese ich mir meine Artikel aus den Jahresanfängen der letzten Jahre durch, denke ich mir: “Haben wir alles auch noch nicht umgesetzt”. Will heißen, kaum haben wir die Pandemie in weiten Teilen hinter uns gelassen, gibt es unzählbar viele Arbeitgeber, die an der Remote-Work wieder rütteln. Es wird dabei kaum ein guter Zwischenweg gesucht, sondern das Pendel schlägt wieder in die andere Richtung aus.
Homeoffice oder hybrides Arbeitsmodell
Durch Corona wurde die Akzeptanz von Remote Work deutlich gesteigert. Meine Beobachtung ist, dass im Jahr 2023 die Bemühungen gestiegen sind, den hohen Anteil an Remote Work wieder umzukehren in einen hohen Anteil an Büropräsenz. In Teilen kann ich den Argumenten folgen. In schwierigen Zeiten will man die Kommunikation auf direktem Weg haben. Der persönliche Austausch im Büro wird von vielen Führungskräften präferiert. Wie immer im Leben gilt es auch in diesem Segment, einen guten und akzeptablen Ansatz zu etablieren, dem Führungskräfte und Mitarbeitern gleichermaßen etwas abgewinnen können. Starre Modelle haben keine Akzeptanz. Das Durchsetzen von antiquierten Ansätzen mancher Führungskräfte wird nur zur Demotivation der Mitarbeiter führen, was zur inneren und idealerweise – aus Arbeitgebersicht – faktischen Kündigung führen wird. Fluktuation ist eine zentrale Messgröße, ebenso Krankenstände und Mitarbeiterzufriedenheit. Kippt dies ins Negative, haben Sie den Akzeptanzkorridor nicht getroffen. Empfehlung: lösen Sie das auf Teamebene, nicht unternehmensweit. Eine Orientierung von 50 % Remote Work dürfte in Ordnung sein. Teams können in der Organisation davon in beide Richtungen abweichen.
Talenteknappheit
Es fehlt an Arbeitskräften, aber im Speziellen auch an Fach- und Führungskräften. Ed Michael hat Recht behalten in seiner Analyse, die nun auch schon älter als 25 Jahre ist. 400.000 neue Arbeitskräfte brauchen wir pro Jahr. Seit 1964 hätten wir eine Geburtenrate von 2,1 dafür benötigt. Erreicht haben wir nur 1,3-1,6. Ein Defizit, was sich in der Zahl von rund 1.000 Menschen manifestiert, die pro Werktag dem Arbeitsmarkt verloren gehen. In den Engpassvakanzen sind die Entwicklungen schon seit Jahren deutlich wahrnehmbar. Und wir merken es persönlich immer mehr. Ob Metzgerei oder Bäcker in den kleinen Städtchen, die ihre Öffnungszeiten anpassen. Ob bei der Müllabfuhr, die mal kommt und mal nicht, ob es bei den Handwerkern ist. Überall grassiert der Mangel an Mitarbeitern. Die Fähigkeit, die richtigen Talente zu gewinnen, ist zur Priorität für Arbeitgeber geworden.
Mitarbeiterbindung
Sie finden viele Unternehmen, die sehr gut im Recruiting aufgestellt sind, die fantastisches Personalmarketing betreiben, eine gute Employer-Brand geschärft haben. Meist beginnt die Odyssee dann beim Onboarding, wo neue Kollegen nicht am ersten Tag alles verfügbar haben, tagelang auf Notebook und Telefon warten etc. Die weiteren Erlebnisse erstrecken sich über schlechtes Empowerment, schlechte Führung, wenig Partizipation, zu hohe Bürokratie, Micromanager, die sich ausleben dürfen, schlechte Unternehmenskultur, keine oder schlechte interne Kommunikation und so vieles mehr. Das ist alles Mitarbeiterbindung. Faktisch gelingt Mitarbeiterbindung psychologisch durch zwei Aspekte: 1.) Mitarbeiter hat das Gefühl, einen erkennbaren Wertbeitrag zu liefern und 2.) Mitarbeiter fühlt sich als Teil eines Ganzen. Die anderen Elemente sind Instrumente, um dorthin zu gelangen. Selbststeuerung, Eigenverantwortung, Entscheidungsbefugnisse, Führungskräfte im Macromanagement.
Fehlende, langfristige Karrierechancen treibt Arbeitnehmer zum Wechsel
Arbeitsverhältnisse haben ihre lebenslange Linie verloren. Sie sind keine Lebensentscheidung mehr, so wie es noch zu Zeiten meiner Großeltern war. Arbeitsverhältnisse nehmen immer mehr einen Projektzyklus ein, sind kurzlebender, nicht mehr so lang laufend. Wir erleben immer mehr, dass Fluktuation generell steigt. Menschen bleiben immer seltener 25 oder gar 30 Jahre beim gleichen Arbeitgeber.
Wenn der Arbeitgeber nur Entwicklungsmöglichkeiten im Bereich Berufserfahrung oder Weiterbildung anbietet, nicht jedoch den schnellen beruflichen Aufstieg ermöglicht, den sich vor allem jüngere Arbeitnehmer wünschen, kippt das bisherige Modell noch dramatischer in Richtung hoher Fluktuation.
Künstliche Intelligenz
Heute sehen wir mehr Beispiele für natürliche Dummheit als für künstliche Intelligenz. Spaß beiseite, dieser Gamechanger wird alles verändern, was wir heute noch als richtig erachten. Nach der industriellen Revolution folgt nun die nächste. Deutschland zehrt noch aus der industriellen Prägung mit “Made in Germany”. Die ersten Firmen haben unlängst geäußert, dass “Made in Germany” keinen Aufpreis mehr rechtfertigt. Die Globalisierung erreicht eine neue Ebene. Deshalb gilt es für die hiesigen Unternehmen, jetzt die Weichen zu stellen, um nicht “Kodak’isiert” zu werden. Kodak und Nokia stehen als Synonym für die Bräsigkeit in Unternehmen, nicht mehr alles in Innovation zu investieren. Und dabei geht es nicht um KI per se, sondern um den verstärken Einsatz von Daten in Entscheidungsprozesse. KI wird viel stärker bei transaktionalen Themen kommen, die den Mensch nicht brauchen. Das kann in manchen Bereichen, bspw. der Mitarbeiterbetreuung, schon schnell 2/3 aller Anfragen ausmachen.
Kultur, Führung, Mitarbeiterzentrierung
Unsere Unternehmenskultur ist wie ein Potemkinsches Dorf. Nach außen wird auch Hochglanz verkauft, was wir nach innen nicht einhalten. In Stellenanzeigen wird eine flache Hierarchie, moderne Führung und eine partizipierende Unternehmenskultur gepriesen, doch innen herrschen Micromanagement, schlechte Führungskräfte, toxische Powerplays und ein hohes Maß an Bürokratie. Mitarbeiter sollen ihr Potenzial abrufen, werden aber klein gehalten. E-Mails müssen vorher abgestimmt werden, Führungskraft denken im kleinen Karo. Oftmals geht es nur um die richtige Durchführung eines Prozesses, aber nicht um die Frage, ob der Prozess an sich richtig ist. So wird eine Unternehmenskultur nicht positiv wachsen, um Innovationsfähigkeit und maximale Wirksamkeit der Workforce zu erreichen.
Was ist eigentlich mit den Dauerbrennern?
Vergütungsstrategie, Leistungsbeurteilungsprozess, interne Kommunikation, Upskilling der einzelnen Funktionen, Wertbeitrag des Personalwesens, Loslösen von Bürokratie, Vereinfachung der Organisation und Struktur, um nur einige wenige zu nennen. Vom Recruiting ganz zu schweigen, wo Hiring-Manager die Kandidaten immer noch durch jeden Reifen springen lassen wollen.
Wir haben noch sehr viel zu tun. Weiter geht’s!
Mit besten Grüßen
Ihr Marcus K. Reif