97 % der Lokführer haben für einen Streik gestimmt. Herr Weselsky agiert als der harte Gewerkschaftsboss mit einem tagelangen Streik. In einem Artikel las ich, dass die Bahn nicht alles richtig gemacht haben kann, wenn 97 % der Lokführer für einen Streik stimmen. Sie fordern mehr Gehalt und weniger Arbeitszeit. Und genau da stolperte ich. Die Arbeitnehmer finden, dass sie zu viel arbeiten und zu wenig Geld erhalten? Mal ehrlich, egal wen ich frage, jeder würde das für seinen aktuellen Job attestieren.
Das ist eine Umkehr der Machtverhältnisse. Wir Personaler arbeiten ja seit Jahren mit dem Aphorismus, dass aus einem Arbeitgebermarkt ein konzentrischer Arbeitnehmermarkt wurde. Die Power liegt bei den Arbeitnehmern. Fluktuation ist derart gestiegen, das misst die Realität. Wenn Führungskräfte nicht gut führen, wenn Arbeitgeber Zusagen nicht einhalten, wenn Arbeitszeittreue ausgenutzt wird, wenn Kultur und Benefits nicht passen, wenn Personalentwicklung, Fortbildung und Trainings nicht konsistent sind, sich Führung nicht zu modernem Leadership entwickeln, wenn Bürokratie und Micromanagement vorherrschen, dann reagieren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter immer mehr mit einer faktischen Kündigung. Das ist die Umkehr der Machtverhältnisse. Fluktuation ist für Arbeitgeber einfach viel zu teuer geworden.
Auf jeden Fall illustriert diese Situation sehr eindrucksvoll, welche Macht die Arbeitnehmer nun haben. Sie sind fast schon ihre eigene Gewerkschaft. Man entscheidet mit Vertragsunterschrift, weil der Arbeitgeber im an Talenten knappen Markt jemanden gefunden hat, sowie mit der Kündigung, wenn der Deal “Arbeitszeit gegen Geld” nicht mehr die Bestätigung erfährt, die man erwartet.
Ich wünsche Ihnen eine erfolgreiche Zeit bei dem Wandel Ihrer Unternehmens- und Arbeitskultur.
Mit besten Grüßen
Ihr Marcus K. Reif
Nicht immer sind es Führungskräfte, die nicht gut führen oder Arbeitgeber, die Zusagen nicht einhalten. Auch fehlende Benefits oder unpassende Kultur sind nicht immer der Grund für Kündigungen. Diese Pauschalisierung finde ich zu einfach. So ist zumindest meine Wahrnehmung. Ich erlebe Mitarbeiter, die durchaus zufrieden sind, aber nach zwei Jahren einfach mal einen anderen Arbeitgeber kennenlernen möchten. Und wenn der dann auch noch mehr zahlt – und es wird sich im Moment immer einen Arbeitgeber finden lassen, der ein höheres Gehalt anbietet – ist das für viele ein Wechselgrund. Eine Mitarbeiterin sagte einmal zu mir, dass sie damit rechne, in der neuen Firma nicht so viel Wertschätzung zu bekommen, wie sie es in unserem Unternehmen erfahren hat. Aber die Verlockung des höheren Gehalts war dann der Kündigungsgrund. Ich will keinesfalls jede Kündigung auf monetäre Aspekte reduzieren. Nur im Moment ist ein sehr häufiger Grund.