Willkommen auf dem Blog von Marcus K. Reif | Meine Arbeit gibt Ihnen Zeit für Ihre!

Noch heute erleben wir, wie stark in der Personalauswahl die Fachbereiche auf Hardskills schauen. Und auch bei der Beurteilung von Leistung im Performance-Management-Prozess und Potenzial bei der Entscheidung über den Karrierefortschritt gilt der Blick immer noch viel zu sehr auf Abschlüsse, Noten, Zertifikate und harte Errungenschaften. Ich beobachte und stelle fest, dass wir kein talent- und potenzialorientiertes, sondern ein abschlussorientiertes Karrieresystem haben. Gleiches trifft auch auf das Bildungssystem zu. Kopfnoten sind so wichtig wie nie!

Wir stecken mittendrin in einer Transformation geprägt von Digitalisierung und Automatisierung, Globalisierung und Kulturwandel, Veränderung der Arbeit und somit von allen Elementen, die wir vormals unter Human Resources subsummierten. Mit dem Aufkommen von maschinellem Lernen und künstlicher Intelligenz werden Unternehmen in verschiedenen Branchen zunehmend automatisiert. Der Grad an Automatisierung steigt bereits seit Jahrzehnten kontinuierlich an. Das wird bedeuten, dass wir die gewohnten Zyklen von Investition und Desinvestion hinter uns lassen werden. Wir werden in Zeiten sein, in denen Stellenabbau und Recruiting parallel stattfindet. Der Shift der Kompetenzen wird dazu führen, dass wir die Phasen von Personalabbau sowie massiven Einstellungen nicht mehr aufeinander folgend erleben, sondern parallel.

Softskills sind die neuen Hardskills. Sie werden unterschiedlich vergütet und gemessen. Agilität verkommt zum Buzzword, dann noch abschlussorientiertes Karrieresystem und fehlende Kompetenzmodelle. Klick um zu Tweeten

Laut einer Untersuchung des McKinsey Global Institute besteht das Potenzial, bis 2055 die Hälfte der aktuellen Arbeitsaktivitäten zu automatisieren. Darüber hinaus wird im Jahr 2055 voraussichtlich mehr als die Hälfte der heutigen Beschäftigungsaktivitäten nicht mehr benötigt. Der Effekt dieser Verschiebung auf Softskill-bezogene Tätigkeiten wird auf einen Anstieg der Arbeitsstunden von US-amerikanischen und europäischen Arbeitnehmern um 24 Prozent geschätzt. Warum? Weil diese Soft Skills – also alle nicht-technischen und nicht-fachlichen Fähigkeiten, die innerhalb von Organisationen erforderlich sind – viel schwieriger über Automatisierung und KI zu replizieren sind. Sie bilden den Kern dieser sich rasch abzeichnenden Verschiebung. Deshalb ist es auch wichtig, die Leistungsbeurteilungssysteme zu überprüfen, da die typischen Performance-Management-Prozesse doch sehr stark mit der Bellcurve und Forced-Distribution abhängig sind von einer reinen Zielerreichungsmethodik, die wenig Fehlertoleranz zulässt und Softskills eher partiell an den Rändern gewichtet. Wir fördern doch immer noch eine hardskillorientierte Superstarkultur im Performance-Management.  

Are hard and soft skills rewarded equally?

Companies should encourage employees to acquire new skills—both hard and soft—but it’s also key that employees be rewarded in the job market for these efforts.

Quelle: McKinsey Organization Blog

Agilität verkommt zum Buzzword

Ohne agile Teamarbeit geht gar nichts mehr. Meint man. Ich bin sicher, dass in den meisten Unternehmen Aktionismus mit Agilität verwechselt wird, aber das ist ein anderes Thema. Oft scheitern die Projekte für mehr Agilität kläglich. Agile Arbeit im Team, anpassungsfähige Strukturen, flexible Mitarbeiter, die eigenverantwortlich und selbstständig handeln und entscheiden sowie agile Tools und Methoden sollten genutzt werden.

Softskills steigen stark in der Relevanz. Wir fördern aber doch immer noch eine hardskillorientierte Superstarkultur im Performance-Management Klick um zu Tweeten

Wir gehen viel zu naiv mit dem Thema New Work und Agilität um. Gerade Agilität ist so ein Schlagwort. Jeder spricht von Agilität, skalierte Agilität, Hyperagilität, hybride Agilität und so weiter. Wir finden tolle Überschriften zu diesem Thema: “Nur die Agilen werden überleben” oder auch “Die heute geforderte Agilität stellt traditionelle Arbeitsweisen infrage“. Doch in der Realität wird Agilität doch meist nur mit Aktionismus verwechselt. 

Agil zu sein ist übrigens weder Selbstzweck, noch ist das allein glückselig machend. Agil sein ist kein Synonym für die eierlegene Wollmilchsau. Erst recht kein Feigenblatt für eine Pseudo-Modernisierung. Aber was bedeutet es denn eigentlich genau, agil zu sein? Nun ist Agilität kein neues Thema und begleitet uns seit 70 Jahren! Durch die Digitalisierung bekommt “agile” eine größere Bedeutung und damit eine sehr hohe Aktualität. Agilität ist allerdings in der Wissenschaft und im beruflichen Sprachgebrauch eher unscharf und wird oft als Chiffre für flexiblere Organisationen und Strukturen, oft auch im Kontext von Mindset, Kultur oder Führung synonym verwendet.

Eine Feststellung ist aus meiner Erfahrung und Überzeugung, dass agile Methoden nicht automatisch zu agilem Mindset führen. Und ohne agiles Mindset gelingt New Work nicht. Wir erleben also, dass im Alltag die Debatte um New Work sich nicht mit dem Kernelement beschäftigt, sondern mit Scharaden außerhalb. Arbeitsplatzdesign, Purpose-Geschwätz stehen im Vordergrund, Kultur und Führung leider nicht. Wir müssen die Herausforderung auch vom Business her denken. Was bringt es, im HR-Kämmerlein munter über die Transformation zu denken, wenn das Business andere Fragestellungen vor sich hat. 

Ich bin sicher, dass ein modernes People-Management eine wettbewerbsdifferenzierende Rolle hat. Zumindest rational/theoretisch, in der Praxis bleiben wir den Beweis unseres Wertbeitrags und unseren eigenen Ansprüchen weitestgehend schuldig. #Agilität: agile Methoden führen nicht automatisch zu agilem Mindset. Und ohne agiles Mindset gelingt New Work nicht. Wie kann es gelingen?

7 Trends des BPMs

Der BPM – Bundesverband der Personalmanager – hat seine sieben HR-Trends und Handlungsfelder des Jahres 2020 skizziert. Wir sehen dort, was konkrete Arbeit im People-Management im Rahmen. Das sind die 7 HR-Trends und Handlungsfelder 2020 aus Sicht des BPM:

  1. Purpose – Top-Talente fragen nach der Bedeutung ihrer Arbeit 
  2. Prepare – Mit Kompetenzaufbau Beschäftigungsfähigkeit sichern   
  3. Digital HR – Mensch-Maschine-Interaktion: digitale Pilotprojekte aufsetzen 
  4. Recruiting & Employer Branding – Rekrutierung braucht ein bewerberzentriertes Mindset
  5. Diversity & Inclusion – Vielfalt wird messbar 
  6. Future Leadership – Führungskräfte zu Kulturstiftern machen 
  7. Future of Work – Employee Experience als Personaler Skill 

Nun ist es allseits bekannt, dass alle Generationen in den Unternehmen gerne einen sinnvollen Wertbeitrag leisten wollen. Das ist auch keine einzig auf die Generation Y oder Z zu münzende Eigenschaft. Das betrifft doch alle Generationen. Auch die Frage nach Flexibilisierung der Arbeit, des Arbeitsortes durch bspw. mobiles Arbeiten oder Homeoffice oder rein arbeitszeitlich ist keine Domäne ausschließlich jüngerer Generationen. Vermutlich haben wir alten einfach nicht den Mumm gehabt, danach zu fragen. Doch schätzen wir ebenfalls die Vereinbarkeit von Familie, privaten Verpflichtungen und Leidenschaften mit dem Beruf.

Führung ist wichtig, das zeigt auch die aktuelle EY-Umfrage:

Nur 60 % der Beschäftigten finden, dass ihre Arbeit im Unternehmen gewürdigt wir. Bei Frauen mit 55 % noch ein Stück weniger als bei Männern. Dieser Wert ist rapide gesunken und lag in den vorangegangenen Befragungen bei über 80 %.

Quelle: EY-Umfrage unter Angestellten: Immer arbeitsverdichteter, immer weniger wertgeschätzt, immer mehr Probleme mit dem Privatleben

Softskills

In typischen Kompetenzmodellen versuchen wir Personaler eine Mischung aus verschiedenen Skills zusammenzustellen, die dienlich und wichtig für eine gute Karriereentwicklung sind. Die fachlichen Kompetenzen rücken in diesen Zeiten ein wenig mehr in den Hintergrund. Recruiter proklamieren ja schon seit Jahren: “Hire character, train skills”, denn in diesen Zeiten zählen Kommunikationsfähigkeit, Ausstrahlung, Mut, Empathievermögen, Achtsamkeit, Konfliktmanagement, aber auch interkulturelle Kompetenz, Adaptionsfähigkeit und Selbstorganisation. Hier mal ein grobes Modell:

abschlussorientiertes Karrieresystem

Wie oben schon erwähnt, beobachte ich überall und stelle leider fest, dass wir kein talent- und potenzialorientiertes, sondern ein abschlussorientiertes Karrieresystem haben. Noten spielen eine größere Rolle als Fähigkeiten und Kompetenzen. Noten sind nicht objektiv. Es gibt keine positive Korrelation aus Noten und künftiger Leistung in den Berufen. Die Vergleichbarkeit von Noten ist ebenso wenig gegeben wie eine zuverlässige Aussagekraft, was die spätere Jobperformance angeht. Als relevanter Faktor bei Personalentscheidungen taugen Noten darum nicht. 

Niemandem gelingt es, die Unvergleichbarkeit der Noten aufzulösen. Das liegt zum einen an einem systemischen Problem: Bildung ist Ländersache. Zum anderen am Faktor „Mensch“: Bei jeder Beurteilung, die ein Lehrer abgibt, fließen unbewusst seine Filter, Vorurteile und Erfahrungen mit ein, seine „Unconscious Bias“. Unhaltbare Konsequenzen ergeben sich daraus bei der Studienplatzvergabe: Man kann doch ernsthaft niemandem erklären, wieso jemand mit besten Soft Skills für den Arztberuf, aber zu schlechtem NC der Zugang zum Medizinstudium verwehrt bleibt, der Einserabiturient mit unzulänglichen Kompetenzen jedoch mit Kusshand genommen wird. 

Noten sind ein Relikt aus der Vergangenheit, als noch auf Konformität und breites Wissen geachtet wurde. Als die Jobs noch einen tayloristischen Zuschnitt hatten mit detaillierten Vorgaben der Arbeitsmethode „One best Way“ und Karrieren mittel- bis langfristig geplant wurden. In Zeiten der Digitalisierung und Globalisierung haben sich die Innovationszyklen aber derart beschleunigt, dass der Blick auf Noten nicht mehr taugt. Agilität, hohe Dynamik und Volatilität kennzeichnen unseren Alltag. 

Fehlende Kompetenzmodelle

Wir sind meist mit Kompetenzmodellen aus den Achtzigern unterwegs, um die Herausforderungen unserer Zeit – 40 Jahre später – zu meistern. Das passt eigentlich nicht mehr. Machen Sie die Probe! Gibt es bei Ihnen für jede Vakanz eine ausführliche Stellenbeschreibung? Vermutlich sagen jetzt viele ja, aber schauen Sie wirklich mal an, welche Qualität dieses Dokument hat. Und gibt es dort eine Darstellung, welche Kompetenzen notwendig sind, um diese beschriebene Aufgabe zu erfüllen? In 90 % der deutschen Unternehmen sind Stellenbeschreibungen immer noch das Relikt aus der Vergangenheit mit Darstellung, welche Bildung und welche berufliche Erfahrung jemand haben musste. Hardskillorientiert! Viele Unternehmen können auch gar nicht strukturiert sagen, welche Softskills überhaupt für die Erfüllung der Aufgaben nötig sind.

Das Recruiting jenseits von Noten und Lebenslauf ist eine Herausforderung

Lösen wir uns von Noten. In der Schule können Dialogformen oder Zeugnistexte einen besseren Eindruck geben. Die Herausforderung für uns als Recruiter ist es heute, eine Persönlichkeit so darzustellen, dass wir Empfehlungen aussprechen können, die auf einer validen Informationslage basieren – und nicht auf Lebensläufen und Noten. 

Der Menschen steht im Vordergrund mit seinem Potenzial und wie wir dieses weiterentwickeln. „Hire for attitude, train skills“ lernt jeder moderne Peoplemanager. Emotionale Intelligenz steht höher als eine gute Note in Deutsch, was nicht heißt, dass gute Rechtschreibung und Grammatik aus der Mode sind. Aber wählen Sie lieber einen Enabler mit schlechten Noten aus als einen Micromanager mit guten. 

Letztlich sagen Noten doch was aus. Nämlich etwas über die Kultur der Personalentscheidung, wenn sie eine Rolle spielen. Sie erkennen daran die Führungs- und Unternehmenskultur des letzten Jahrhunderts. 

Beste Grüße

Marcus K. Reif

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