Personalmanagement 4.0
Prolog: Arbeitswelt im Wandel
Die Megatrends Globalisierung, demografischer Wandel und Digitalisierung machen auch vor der Erwerbsarbeit nicht Halt. Die heutige Arbeitswelt befindet sich in einem Zustand des permanenten Wandels, in dem alte Wertemuster überworfen, Berufe neu definiert und überkommene Jobprofile ausgemustert werden. Lange dominierte hierbei die Diskussion, ob die Digitalisierung Arbeit zerstört und wie viele Jobs zukünftig von Maschinen und Algorithmen übernommen werden. Dabei blieb oftmals nicht berücksichtigt, dass nicht ganze Berufe wegfallen, sondern einzelne Tätigkeiten automatisiert werden und sich durch den qualitativen Umbau von Arbeitsplätzen und der inhaltlichen Neuausrichtung auch Chancen für neue Jobs oder erweiterte Berufsprofile ergeben. Zweifelsohne wird es in der Arbeitswelt der Zukunft weniger Beständigkeit geben, denn sowohl die Geschäftsmodelle und Anforderungen, als auch die Mitarbeiter und ihre Bedürfnisse werden bunter. Starre Arbeitsmodelle und die Stechuhr haben fast überall ausgedient. Diese Entwicklung betrifft Unternehmen in unterschiedlicher Geschwindigkeit und Intensität, ist aber unaufhaltsam. New Work birgt für manchen möglicherweise mehr Unsicherheiten – aber hauptsächlich bringen neue Arbeitsformen mehr Möglichkeiten zur Selbstbestimmung für die Mitarbeiter und einen größeren Gestaltungsspielraum für HR. Die Personalfunktion muss sich diesen Herausforderungen stellen. Vermutlich gab es noch nie so spannende Zeiten für HR: Während mit neuen Geschäftsmodellen und neuen Produktionsverfahren auch neue Berufe entstehen und neue Fähigkeiten gefordert sind, befindet sich die deutsche Wirtschaft in einem globalen Wettlauf um die Frage, wer die künftigen Standards setzt und entsprechende Plattformen für die digitale Ökonomie der Zukunft schafft. Gleichzeitig hält der Effizienzdruck in den Unternehmen an und zwingt auch das Personalmanagement, immer bessere Produkte mit immer weniger Aufwand zu entwickeln. Doch dies ist nicht der einzige Zug, der fährt: mit dem beschleunigten demografischen Wandel und dem Einzug neuer Generationen in die Arbeitswelt setzt sich auch der innerbetriebliche Kulturwandel mit massivem Tempo fort. Wenn HR jetzt im Bestehenden verharrt, ist die Marginalisierung der Personalfunktion vorprogrammiert, denn People-Themen sind heute so wichtig, dass keine Organisation es sich leisten kann, diese mit den Mitteln von gestern oder vorgestern voranzureiben. HR steht also am Scheideweg: sich selbst transformieren und Treiber der Transformation werden oder im Bestehenden verharren und langsam aussterben. Der BPM hat sich eindeutig entschieden: Mit „Personalmanagement 4.0“ setzen wir die Segel Richtung Zukunft.
Handlungsfelder
Die Veränderungen der Arbeitswelt betreffen einzelne Branchen und Unternehmen in unterschiedlicher Intensität und Geschwindigkeit. Entlang von sieben Handlungsfeldern soll dieses Papier wesentliche Treiber für übergreifende Veränderung skizzieren, Auswirkungen auf die Personalarbeit beleuchten und Forderungen formulieren – an andere, aber vor allem auch an HR selbst. Denn als aktive Gestalter des Wandels sind engagierte Personaler mehr denn je gefragt und gefordert.
Arbeitsorganisation – Von starren Strukturen zu vielfältigen Arbeits- und Organisationsformen
Vielfältige Arbeitsweisen
Routinearbeiten werden in den kommenden Jahren zunehmend automatisiert. Während die Fabriken zunehmend menschenleer werden, weil zumindest die schweren und belastenden Tätigkeiten immer häufiger von Robotern ausgeführt werden, stellen anpassungsfähige Wissensarbeiter mit ausgeprägten Kommunikationsfähigkeiten den idealtypischen Arbeitnehmer von morgen. Führungsmethoden und Arbeitsprozesse verändern sich: Agile Methoden und Lean Management sind auf dem Vormarsch. Die Arbeitsmittel werden sich technologisch rasant weiterentwickeln und neue Formen der Zusammenarbeit ermöglichen. Die Vorstellung, dass ein Avatar die Sprachgrenzen in einem internationalen Arbeitsumfeld durch Simultandolmetschen überwindet, entspringt keinem Science Fiction Roman mehr, sondern ist kurz davor, Realität zu werden.
Vielfältige Arbeitsplätze
Die Menschen verbringen immer weniger Zeit am eigenen Schreibtisch im Firmenbüro. In einer international vernetzten Arbeitswelt ist räumliche und zeitliche Mobilität gefragt. Die Digitalisierung schafft die Voraussetzungen für mobiles Arbeiten und ortsunabhängige Kollaborationstools. Die Beschäftigten nutzen mehr und mehr alternative Arbeitsorte wie das Auto oder die Bahn, Co-Working Spaces oder Kundenbüros. Desk-Sharing wird zur Regel. Bürolandschaften verändern sich. Ebenso muss sich der Arbeitsplatz mit den Bedürfnissen der Arbeitnehmer in den unterschiedlichen Lebensphasen verändern. Unterschiedliche Lebenssituationen erfordern mehr Flexibilität am Arbeitsplatz, führen aber auch zu einer neuen Schutzbedürftigkeit des Menschen vor digitaler Überforderung und ständiger Erreichbarkeit.
Vielfältige Organisationsstrukturen
Die Grenze zwischen innen und außen in Unternehmen verschwimmt immer weiter. Neben der Stammbelegschaft erhöhen Firmen ihre Flexibilität durch den Einsatz von festen freien Mitarbeitern, externen Beratern und Freelancern, die sie bedarfsgerecht und gemäß dem Arbeitsvolumen einsetzen. In globalisierten Arbeitskulturen nimmt die Komplexität der Kommunikation zu. Es entstehen Netzwerk- oder Schwarmorganisationen. Neue Formen der Zusammenarbeit setzen sich durch: Kollaboration statt Silodenken, agile und dialogorientierte Führung statt hierarchischer Steuerungsmodelle. Zentral-hierarchisch gesteuerte Organisationen werden zu dezentral-mobilen Organisationen transformiert. Das Credo lautet „Wissen teilen“ statt „Herrschaftswissen für sich behalten“. Durch anpassungsfähige Organisationskulturen können Unternehmen schnell und gezielt auf Marktentwicklungen und Trends aus der Umwelt reagieren.
► Mit der Hinwendung zur Prozessorientierung, zur Interdisziplinarität und zur Vernetzung kommen althergebrachte starre hierarchische Strukturen aber auch die lange als fortschrittlich und zeitgemäß gegoltene Matrixorganisation an ihre Grenzen. Der Bedarf und die Forderung nach neuen Aufbauund Ablauforganisationen werden laut und deutlich. Methoden wie Scrum, Kanban und andere Lean Techniken haben in der Produktentwicklung schon längst Einzug gehalten und werden dort gelebt. Sie finden derzeit ihre Verbreitung in den nicht-klassischen Einheiten und verlangen eine andere organisationale Ausgestaltung. Neue Organisationsmodelle wie z.B. Pool-Organisationen, die agile und fluide Organisationsprinzipien erfordern, müssen in den Unternehmen verankert werden.
Big Data – Von KPIs zur intelligenten Verknüpfung vieler Datenquellen
Big Data geht über die bisherige Erfassung von Personalstammdaten und deren Nutzung in Unternehmen weit hinaus. Das Potenzial liegt in der intelligenten Verknüpfung von internen und externen Datenquellen durch entsprechende Algorithmen, um sogenannte smarte Daten zu generieren. Für das Personalmanagement ergeben sich durch Big Data große Chancen den Erfolg von Unternehmen zu sichern und seine eigene Rolle wertiger, nämlich daten- und faktenbasierter, anzureichern. Doch was kann Big Data für den HR-Bereich leisten?
- eine schnellere und treffsichere Auswahl passgenauer Kandidaten auf Basis akkurater Daten für eine spezifische Herausforderung. Anforderungsprofile können mit Aufgabenprofilen überregional und kontextabhängig in Echtzeit verglichen werden.
- die Fokussierung der Personalgespräche auf Führungsqualitäten, die durch fluide Organisationsformen einen größeren Stellenwert einnehmen
- eine höhere Reaktionsgeschwindigkeit in disruptiven Marktveränderungen durch die Identifikation der notwendigen Managementpersönlichkeiten für erfolgreiche Transformationen
- die Verfügbarkeit von anonymisierten Personaldaten, um rechtlichen wie ethischen Regularien und Anforderungen der Sozialpartner gerecht zu werden und der Vorstellung eines gläsernen Mitarbeiters vorzubeugen
- größere Transparenz im Employer Branding für potentielle Talente
► Dies erfordert qualifizierte Fachkräfte, die noch nicht ausreichend im Personalbereich vorhanden sind. Es werden Data Scientists oder Datenökonomen benötigt, die mit der Flut an Daten aus internen und externen Quellen sowie sozialen Netzwerken intelligente Antworten auf künftige 4 Herausforderungen im Personalmanagement geben können. Zudem werden Kenntnisse auf den Gebieten der Mathematik und Informatik benötigt, die über traditionelle HR-Kompetenzen hinausgehen. Weiterhin bedarf es einer Kombination von Know-how-Trägern aus dem Human Ressource Management und aus IT-Professionen, die sinnvoll HR-relevante Daten aus zahlreichen Quellen intelligent verknüpfen können. Diese Ausbildungsinhalte und Anforderungen sollte schon heute stärker in den Lehrplänen integriert und reflektiert werden. Gleichzeitig sind Regelungen im Betrieb zu finden, die klarstellen, wie man mit diesen Daten und Ergebnissen umgeht und gleichzeitig der Vorstellung eines gläsernen Mitarbeiters vorgebeugt wird.
Arbeitsrecht – Von Verhinderung zur Gestaltung der neuen Arbeitswelt
Die Flexibilisierung der Arbeitswelt setzt das deutsche Arbeitsrecht unter Druck. Herausforderungen ergeben sich etwa durch die Auflösung klassischer Betriebsstrukturen. Bei wechselnden Zusammensetzungen der Teams ohne klassische horizontale und vertikale Strukturen werden fachliche und disziplinarische Weisungsrechte, auf denen das Arbeitsrecht heute noch aufbaut, verwässert. Der Schutz der Mitarbeiterdaten in einer internationalen Cloud steht im Konflikt zwischen vereinheitlichten globalen Prozessen und nationalem Besitzstands- oder Systemdenken. Vor allem aber das deutsche Arbeitszeitrecht ist nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Die unternehmerische Realität, die durch Mobilität und flexibles Arbeiten, aber auch durch zeitzonenübergreifende Telefon- und Webkonferenzen gekennzeichnet ist, hat den rechtlichen Rahmen längst überholt. Zahlreiche Regelungen sind zeitnah zu adressieren und durch gesetzliche, ebenso wie betriebliche und tarifliche Regelungen, zu modernisieren:
► Die Höchstarbeitszeit sollte statt auf Tages- auf Wochenbasis ermittelt werden, um mehr Flexibilität bei gleichbleibendem Schutz des Arbeitnehmers vor Überforderung zu gewährleisten.
► Die Ruhezeit sollte gesetzlich gekürzt werden, kürzere Ruhezeiten „zwischendurch“ sollten angerechnet werden. Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen sollten ebenso kürzere Ruhezeiten regeln können.
► Die Vertrauensarbeitszeit ohne Arbeitszeitkonto und ohne Zeiterfassung sollte als ein wichtiges Zukunftsmodell breit etabliert werden.
► Flexible Arbeitszeitmodelle wie Jahresarbeitszeit- und Langzeitkonten sollten künftig stärker auch in tariflosen und/oder betriebsratslosen Betrieben zur Anwendung kommen.
Hier ist noch ausreichend Überzeugungsarbeit zu leisten. Traditionell denkende Arbeitgeber fürchten noch immer einen Verlust an erbrachter Arbeitszeit aufgrund fehlender Kontrolle, Betriebsräte wiederum fürchten Ausbeutung. Die Praxis zeigt, das Gegenteil ist der Fall. Je mehr Vertrauen in den Mitarbeiter gesetzt wird und die Arbeitszeit variabel eingebracht werden kann, desto höher das Engagement.
Partizipation – Von formalisierter Mitbestimmung zu Chancen neuer Partizipation
Auch einige Regelungen des Betriebsverfassungsgesetzes sind nicht mehr zeitgemäß. Das Mitbestimmungsrecht (§ 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG) hat sich vom Kerngehalt – dem Schutz des 5 Persönlichkeitsrechts des Arbeitnehmers – entfernt und führt nun häufig zur Blockade von technischen Innovationen im Arbeitsleben. Die zunehmende Vernetzung von Arbeitsprozessen mithilfe digitaler Systeme führt unweigerlich dazu, dass Arbeits- und Leistungsverhalten festgehalten – wenn auch nicht ausgewertet – wird. Dies wiederum erfordert oft langwierige Abstimmungsprozesse mit den Sozialpartnern, wodurch die durch den digitalen Fortschritt gewonnene Flexibilität untergraben wird.
► Um die neue Arbeitswelt betrieblich zu verankern, sind Betriebsvereinbarungen notwendig, u.a. Smart Working in örtlicher Hinsicht (mobiles Arbeiten, Home Office, Desk-Sharing, Clean Desk, Arbeitssicherheit) sowie in zeitlicher Hinsicht (Arbeitszeit, Modernisierung des flexiblen Arbeitens, Vertrauensarbeitszeit). Zudem sind technische Regelungen zu vereinbaren, die auch Compliance- Fragen adressieren (Zugangskontrolle, Mitarbeiterausweise, Social Media-Guidelines, App-Nutzung, „bring your own device“, Datenschutz, Geheimnis- und Wettbewerbsschutz).
Mit Blick auf die traditionelle deutsche Sozialpartnerschaft zeigt sich, dass das System der Mitbestimmung vor erheblichen Veränderungen steht. Betriebsräte und HR-Manager müssen sich fragen, wie verhindert werden kann, dass die oftmals langwierigen und von formalen Prozessen geprägten Freigabe-Prozeduren für neue IT-Anwendungen oder dynamisch am Markt agierende Ausgründungen zu Innovationsbremsen werden. Hier müssen beide Parteien zu schnelleren und agileren Aushandlungsformen kommen und sich künftig stärker am Geist der Sache orientieren. Denn klar ist: Ohne eine maßvolle Flexibilisierung wird Deutschland in einer digitalisierten und globalisierten Weltwirtschaft bald erhebliche Wettbewerbseinbußen hinnehmen müssen. Gleichzeitig müssen und wollen wir die hohen Schutzstandards unseres Arbeitsrechtes wahren und weiterentwickeln – ein Balanceakt, der nicht einfach werden wird.
In diesem Zusammenhang steht auch das System der Mitbestimmung vor einer Bewährungsprobe. Historisch hat sich die Mitbestimmung in Deutschland dadurch ausgezeichnet, dass sie weitgehende Mitspracherechte der Beschäftigten ermöglichte, ohne unternehmerische Innovation und die nötige Flexibilität über Gebühr zu behindern. Soll diese prinzipiell positive Rolle der Mitbestimmung unter den Bedingungen einer gänzlich neuen Dynamik fortgeschrieben werden, muss auch die Mitbestimmung ein neues Tempo einschlagen und ihre Haltung zu unternehmerischen Notwendigkeiten an vielen Stellen überdenken. Doch die Mitbestimmung wird nicht nur von außen gefordert, sie muss auch die Gefahr einer Erosion von innen abwehren: in dem Maße, in dem elektronische Tools und Kommunikationsmedien eine unmittelbare Meinungsbildung unter den Beschäftigten quasi in Echtzeit ermöglichen, läuft die überwiegend repräsentativ verfasste Mitbestimmung schnell Gefahr, nicht als „wahre“ Stimme der Arbeitnehmer verstanden zu werden – ein Risiko, das durch immer heterogenere Beschäftigteninteressen nicht kleiner wird. Die Herausforderung für die Mitbestimmung in den kommenden Jahren besteht darin, neue und direkte Partizipationsformen agil in ihre Willensbildung einzubinden und dennoch mit „one voice“ für die Belegschaften zu sprechen. Hier können Personalmanager helfen – vor allem dadurch, dass sie Betriebsräte mit modernen digitalen Kommunikationstools vertraut machen.
► Das System der Mitbestimmung muss sich weiterentwickeln, an Dynamik gewinnen und neue Partizipationsformen erproben. Eine Neufassung des Betriebsverfassungsgesetzes könnte die Arbeit 4.0 beflügeln, beispielsweise durch die Fokussierung der strengen Mitbestimmungsregeln auf den Schutz vor gezielter Überwachung durch den Arbeitgeber oder die zeitliche Straffung der Verhandlungen mit dem Betriebsrat bei der Etablierung von technischen Neuheiten durch eine definierte Erwiderungsfrist.
Führung – Von Fachwissen und Delegation zu transformationalen Kompetenzen
Führung wird aufgrund der Vielfalt von Generationen (Babyboomer, Generationen X, Y, Z, Milenials) und der fluiden Zusammenarbeit über Abteilungsgrenzen hinaus immer komplexer. Eine Führungskraft muss heute ebenso das Geschäft wie ihre Mitarbeiter entwickeln. Es braucht mehr Offenheit und Ehrlichkeit im Umgang mit Mitarbeitern, denn sie wünschen zunehmend einen auf Vertrauen basierten Umgang mit ihren Vorgesetzten. Gleichsam fordern Mitarbeiter direktive Anleitung und kontinuierliches Feedback. Das Interesse, die eigene Karriere voranzutreiben und Weiterentwicklung einzufordern, nimmt zu. So werden auch solide Kommunikationsfähigkeiten zunehmend wichtig für Führungskräfte. Insgesamt wird klar, die Führungskultur ist im Wandel. Neben seiner Verantwortung als Führungskraft wird der Vorgesetzte zunehmend die Aufgabe als Coach und Mentor übernehmen. Das erfordert Vertrauen in Mitarbeiter und die Demut, nicht alles selbst entscheiden zu wollen. Führung in disruptiven Veränderungen erfordert sicheres Umgehen in unvorhersehbaren Geschäftsentwicklungen. D.h. eine Unternehmenskultur zu fördern, die ihre Energie auf die Chancen der Möglichkeiten legt und nicht auf die Abwehr, da sich Fortschritt nicht nachhaltig aufhalten lässt. Big Data Analytics wird für moderne Führung immer wichtiger, ersetzt aber nicht Erfahrung in dieser Verantwortung und Intuition.
► Die Anforderungen an Führungskräfte, die sich in dynamischeren Unternehmensumwelten behaupten wollen, verändern sich. Es braucht Kompetenzen und Qualitäten, die weniger durch den Status eines hierarchiedefinierten Postens gegeben sind. Um Führungskräfte als maßgebliche Agilitätsagenten für die digitalen Veränderungen vorzubereiten, bedarf es der Vermittlung von Selbstlernkompetenz sowie der Förderung eines kollaborativen Arbeits- und Wissenstransfers unterstützt durch kontinuierliches Feedback zur Kompetenzerweiterung. Diese Skills sollten idealerweise durch gezielte Ausbildungsmaßnahmen in Schulen, Hochschulen und durch interne Weiterbildungsmaßnahmen entwickelt werden. Entsprechend sollten unternehmensseitig in die Ausund Weiterbildung der Führungskräfte investiert werden und zugeschnittene Programme vorgehalten werden.
Der digitale Wandel der Arbeitsgesellschaft wird nur durch ein solides Angebot an Weiterbildungsmaßnahmen realisierbar. Hierbei kommt vor allem den Personalabteilungen eine hohe strategische Bedeutung zu. Sie sind verantwortlich die Weiterbildungsangebote im Unternehmen sowohl für Mitarbeiter als auch Führungskräfte auf- und auszubauen und an den Themen der Digitalisierung auszurichten.
Qualifizierung – Vom Weiterbildungskatalog zu selbstorganisiertem Lernen für Prosumenten
An drei Grundprinzipien der vierten industriellen Revolution haben wir uns längst gewöhnt, sei es bei persönlich zusammengestelltem Müsli oder selbstgestalteten Fotobüchern: Vielfalt, Individualisierung und die Wandlungen vom Konsumenten zum Prosumenten, d.h. einem Konsumenten, der an der Erstellung des gewünschten Produktes mitwirkt. Alle drei Prinzipien sind auch für die Personalentwicklung keine unbekannten Konzepte. Die Forderung, dass Entwicklungsmaßnahmen gezielt und nicht nach dem Gießkannenprinzip eingesetzt werden sollen, ist nicht neu, ebenso wenig 7 wie die Idee, Mitarbeiter als Trainer einzusetzen und so ihre Kompetenz weiterzugeben. Neu ist vielmehr, dass diese drei Prinzipien jetzt in das Zentrum der Unternehmensphilosophie rücken und Handlungsempfehlungen für die Personalentwicklung darstellen.
► Vielfalt
Parallel zur steigenden Leistung der Computer und der Verfügbarkeit des Internets ist in den letzten Jahren auch die Zahl der Lernmöglichkeiten gestiegen. Studenten können beispielsweise in sogenannten Massive Open Online Courses (MOOCs) Vorlesungen besuchen, die bislang nur Studenten in Stanford oder Harvard zur Verfügung standen. Augmented Reality simuliert Situationen und Umgebungen so täuschend echt, als wäre man persönlich im Raum anwesend. Serious Gaming bereitet Situationen aus dem Berufsalltag als Computerspiel auf. Ubiquitious stellt mit Mobile Learning Lernangebote auf dem Smartphone bereit. So wird lernen auch an der Bushaltestelle möglich. Und diese Unabhängigkeit vom Standort macht die virtuellen Weiterbildungsangebote immens interessant, da sie gerade für eine große Zahl von Teilnehmern geeignet sind. Zudem gewährleistet die Flexibilität der Angebote eine freie Zeiteinteilung – Lernen kann und wird somit zu jeder Zeit und an jedem Ort stattfinden und weit mehr Menschen als heute zugänglich sein.
► Individualisierung
Diese erweiterte Auswahl an Möglichkeiten führt zwangsläufig dazu, dass die Personalentwickler noch stärker als bisher zum Weiterbildungsberater werden und den Kunden Wege zur Selbstentwicklung aufzeigen. Eine Möglichkeit kann dabei sein, die von F. Vester eingeführten Tests zur Ermittlung von Lerntypen weiterzuentwickeln und so den Lernenden zu helfen, ihren eigenen Lerntyp zu ermitteln. Auf diese Weise könnten Lernende feststellen, ob sie besser anhand von Seminaren, Büchern, Podcasts, Videos oder Serious Games lernen, weil sie dem visuellen, auditiven, haptischen oder verbalem Lerntyp entsprechen. Lernende sollten auch verstehen, ob sie besser in einer Gruppe, mit einem Trainer oder selbstbestimmt lernen können. Die Personalentwicklung muss aber zudem in der Lage sein, das angemessene Format für den jeweiligen Inhalt zu ermitteln: Ist ein webbasiertes Training oder ein Seminar besser geeignet, um Computerkenntnisse zu vermitteln? Wie sieht es bei Sprachkenntnissen oder bei Verhandlungstechniken aus? Wo hilft ein Video? Wo ein Podcast oder Hörbuch? Bei welchen Themen sollten welche Medien wie kombiniert werden? Noch gibt es zu wenige Studien über den Erfolg – oder Misserfolg – des computerbasierten Lernens bzw. der einzelnen Lernformen überhaupt. Aufgabe des Personalentwicklers sollte daher auch sein, über zukünftige Forschungsergebnisse in diesem Bereich informiert zu sein.
► Prosument
Personalentwickler müssen aber nicht nur Berater, sondern auch immer mehr Netzwerker werden. Mitarbeiter als Prosumenten lernen und geben das Erlernte weiter. Der erste Ansprechpartner bei Fragen und Problemen ist für sie in der Regel ein Kollege aus dem gleichen Team. Durch Wikis und andere Plattformen wird es nun immer einfacher, dieses Wissen auch übergreifend mit Kollegen zu teilen. Auf Lernplattformen ist es möglich, Videos und Präsentationen, eigene ebenso wie die von Kunden und Lieferanten, hochzuladen. Es können Diskussionen zu Problemen geführt und FAQs erstellt werden, Links zu externen Quellen verschickt und Lerngruppen organisiert werden, auf denen Trainer Informationen vor, während oder nach Seminaren hinterlegen sowie Fragen stellen und beantworten können. Immer mehr dürfte sich die traditionelle Rollenaufteilung von Lernendem und Lehrendem verwischen. Lebenslanges Lernen bedeutet, dass auch Lehrende primär Lernende mit einem Wissensvorsprung sind. Die Forderung an die Personalentwicklung lautet hier, dieses Lernen zu ermöglichen, Räume und Gelegenheiten zum Austausch zu schaffen und Lernenden zu zeigen, wie sie 8 selber Lehrende werden können – und damit Geburtshelfer einer wahrhaft lernenden Organisation zu sein. Noch nie zuvor standen der Personalentwicklung so viele verschiedene Lernformen zur Verfügung. Noch nie war es so einfach, für jeden Lerntyp die richtige Weiterbildung zu finden. Eine der Kernaufgaben der Personalentwicklung wird in den kommenden Jahren sein, diese Bandbreite aller Lernformen und -inhalte konsequent zu nutzen und ihren Kunden anzubieten.
Psychosoziale Gesundheit – Vom Umgang mit Krankheiten zu Organizational Health
Durch die Veränderungen der Arbeitsorganisation, die Auflösung fester Grenzen zwischen Arbeitsund freier Zeit und neue Rahmenbedingungen wie spätere Renteneintritte rückt neben der physischen auch die psychische Gesundheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Fokus von Unternehmen und Organisationen.
► Zunächst gilt es, die Ressourcen für die psychische Gesundheit zu stärken. Dies beginnt damit, Mitarbeiter und Führungskräfte auf ihre Aufgaben ordentlich vorzubereiten. Im engeren Sinne gehören dazu Zeit- und Stressmanagement-Kurse, aber auch die Förderung von sportlichem Ausgleich. Die in diesem Zusammenhang häufig genannte Resilienz ist nicht eine bloße Eigenschaft eines Individuums, sondern sie kann – ähnlich wie die Widerstandskraft gegen Infektionserkrankungen – entwickelt werden. Diese Entwicklung psychischer Widerstandskraft ist ein wichtiger Teil der modernen Personalentwicklung und findet heute in Konzepten wie „Corporate Happiness“ oder anderen Ansätzen einer ressourcenorientierten Psychologie einen Platz in modernen Organisationen.
► Ein anderer Aspekt ist die Verminderung von psychischen Belastungen am Arbeitsplatz. Entscheidende Stellschrauben sind hier die Gefährdungsbeurteilung und die Gestaltung der Arbeitsplätze. Gesundheitsförderliche Führungsstile und eine bewusste Gestaltung der Unternehmenskultur werden hier zunehmend wichtig. Gerade Führungskräfte nehmen durch ihren Leitungsstil maßgeblich Einfluss auf Gesundheit und Wohlbefinden der Mitarbeiter und somit den wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens. Eine gute Führungs- und Kooperationskultur ist damit nicht allein eine Frage sozialer Verantwortung, sondern wird zu einem ökonomischen Gebot.
► Die dritte Stoßrichtung im Umgang mit psychischen Belastungen in der Arbeitswelt ist die psychosoziale Unterstützung und Wiedereingliederung belasteter und erkrankter Beschäftigter. Mitarbeiter mit psychischen Erkrankungen haben mit Abstand die längsten Arbeitsunfähigkeitszeiten. Das frühzeitige Erkennen solcher psychischen Störungen hat für die Unternehmen als auch für den einzelnen betroffenen Mitarbeiter positive Auswirkungen. So tragen etwa niedrigschwellige Beratungsangebote, die Sensibilisierung der Führungskräfte und geschulte Vertrauenspersonen dazu bei, die Mitarbeiter zu unterstützen und ihre Wiedereingliederung effizienter zu gestalten. Ein wertschätzender, konstruktiver und offener Umgang mit dem Betrieblichen Eingliederungsmanagement befördert diese Entwicklung und muss von HR gestaltet und vorgelebt werden.
Außer Frage steht, dass gesunde Mitarbeiter und Organisationen heute ein entscheidendes Kapital für Unternehmen darstellen. Nachweislich hat die Gesundheit der Belegschaft maßgeblichen Einfluss auf das operative Ergebnis eines Unternehmens. Somit sollte das Thema Gesundheit auch zunehmend in den Fokus des Personalmanagements rücken.
Fazit
Ein derart tiefgreifender Wandel der Arbeitswelt kann nicht ohne Auswirkungen auf die Personalarbeit bleiben – und damit nicht ohne Auswirkungen auf die Personaler. Die vierte industrielle Revolution löst neben vielen anderen Veränderungen auch eine neue HR-Ära aus. HR kann seine Rolle im Unternehmen neu definieren und zu einem strategischen Partner für das Geschäft werden. Nach dem traditionellen „Personalwesen“ mit einem stark administrativen und sozial-fürsorglichen Charakter sowie der Business Partner-Bewegung in einer dreigeteilten HR-Welt geht es nun darum, die digitale Transformation nicht nur zu begleiten, sondern zu ermöglichen und aktiv zu gestalten.
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Veränderung der Tätigkeitschwerpunkte: Intelligente Systeme übernehmen immer mehr Standardaufgaben. Dennoch bleibt es unersetzlich für erfolgreiche Unternehmen die Erfahrung und Kreativität der Mitarbeiter zu nutzen und zu fördern. Ein wesentliches Element wird die Nähe zu Big Data sein, um analytische und soziale Kompetenz angemessen zu balancieren.
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Flexibilität und Mobilität: Neue Technologien ermöglichen flexible und mobile Arbeitsformen. Individuelle familiäre und persönliche Bedarfe lassen sich besser als bisher vereinbaren. Dazu braucht es im Unternehmen ein breites Angebot an orts- und zeitflexiblen Arbeitsmodellen. Ebenso ist eine agile Unternehmensstruktur entscheidend, um Treiber der Digitalisierung zu sein.
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Big Data als Chance: Hier liegen große Möglichkeiten für das Personalmanagement der Zukunft. Dabei geht es nicht nur um die Menge der Daten, sondern besonders um deren Verknüpfung, Analyse und Aufbereitung in Echtzeit, um strategisch relevante Entscheidungen für das Geschäft zu treffen.
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Arbeitsrecht als Gestalter einer neuen Arbeitswelt: Gesetzlich notwendige Rahmenbedingungen gewähren Anreize für flexibles Arbeiten und die nötige Rechtssicherheit. Hier sind jedoch einige Regelungen nicht mehr auf der Höhe der Zeit und müssen angepasst werden. Dies muss unter dem Aspekt der Anforderungen des digitalen Zeitalters erfolgen und unter Berücksichtigung des Arbeitnehmerschutzes.
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Partizipation als Treiber: Mitarbeiter wollen den Weg ihres Unternehmens aktiv mitgestalten. Daraus entstehen neue technische Anforderungen an das Unternehmen. Bei der Einführung innovativer Lösungen innerhalb eines Unternehmens sind agile Entscheidungswege Grundvoraussetzung. Dies stellt hohe Ansprüche an neue Formen der Sozialpartnerschaft.
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Führungskraft als Coach: Ein neues Führungsverständnis ist notwendig, um Veränderungen von Tätigkeitsbildern in Rekrutierung und Qualifizierung zu antizipieren und entsprechend umzusetzen. Der Weg führt weg vom hierarchischen Führungsansatz hin zu einem unterstützenden Wegweiser und Mentor. HR ist hier gefordert, die Führungskräfte auf diesem Weg zu unterstützen und auszubilden.
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Lebenslanges Lernen als Teil der Unternehmenskultur: Bereits heute ist eine Vielzahl an unterschiedlichen Angeboten vorhanden, die eigenen Mitarbeiter und Führungskräfte weiterzubilden. HR hat hier die Aufgabe, die inhaltlichen Weiterbildungsangebote sowie einen Überblick über die Gesamtauswahl der Lernformen zur Verfügung zu stellen, damit individuelles und lebenslanges Lernen möglich ist.
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Gesundheit als Werttreiber: Unternehmen müssen immer stärker auf die psychische Gesundheit ihrer Mitarbeiter achten und sowohl Mitarbeiter als auch Führungskräfte auf die neuen Anforderungen der Digitalisierung vorbereiten. Klar ist: Nur jene Unternehmen, die die Gesundheit ihrer Belegschaft im ganzheitlichen Sinn fördern, werden nachhaltig erfolgreich sein.
In der Summe eine große Chance und eine große Herausforderung für die HR-Funktion, die in unterschiedlichen Kontexten individuell gestaltet werden muss. Der BPM wird gemeinsam mit seinen Mitgliedern und der Politik Rahmenbedingungen setzen und Handlungsempfehlungen vertiefen, damit dies gelingt.
Quelle: BPM POSITIONIERT SICH ZU PERSONALMANAGEMENT 4.0, BESCHÄFTIGUNGSDATENSCHUTZ UND LOHNGERECHTIGKEIT
Personalmanagement 4.0
Das Papier “Personalmanagement 4.0” stellt eine Zukunftsvision für modernes Personalmanagement im digitalen Zeitalter dar und enstand in einem kollaborativen Prozess, an dem sich über 200 BPM-Mitglieder beteiligt haben.
Download: bpm_abschlusspapier_pm40_ansicht.pdf
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