Realität ist: immer weniger Menschen stehen hinter etablierten Parteien
Zuletzt hatte ich Ende 2012 über die Mitgliederzahlen der Parteien gebloggt. Anlass war ein Artikel auf Spiegel.de “Mitgliederzahlen: Grüne überrunden FDP“. Dort wurde vermerkt, dass Bündnis 90/Die Grünen im Kalenderjahr 2012 rund 650 neue Mitglieder gewannen, die FDP – so der Redakteur – im gleichen Zeitraum 3.000 Mitglieder verlor.
Es ist also wieder an der Zeit, die Zahlen neu zu reflektieren. Gerade in Zeiten, wo durch Fluglärm, NSA-Affäre und der aufkommende Wahlkampf auf Bundesebene sowie in Hessen auch auf Landesebene – immerhin wird am 22. September in Hessen der Landtaggewählt und die Bundestagswahl steht an – sehen sich etablierte Parteien in der Kritik. Viele Themen werden in der Bevölkerung nicht mehr vollumfänglich betrachtet, sondern aus einer ganz persönlichen Perspektive.
Mitgliederstärkste Partei
In den letzten rund fünf Jahren gab die Geschichte um die mitgliederstärkste Partei immer einen Artikel her. Ob nun CDU oder die SPD vorne lagen, änderte sich nahezu jedes Quartal. Ich hatte im Juli 2012 das letzte Mal zu diesem Thema gebloggt: SPD überholt CDU als mitgliederstärkste Partei
In Zeiten, in denen Politik deutlich an Komplexität gewonnen hat, selbst Wirtschaftsexperten kaum eine einheitlich plausible Strategie empfehlen können und sich eher durch Dissens auszeichen – da bleibt es nicht aus, dass den Parteien nicht die Bude eingerannt wird.
Doch weshalb ist dieses Elefantenrennen um die Führerschaft nach Mitgliederstärke denn wichtig? Ganz einfach: damit wird die Verankerung in der Gesellschaft dokumentiert. Die Volksparteien haben nicht mehr den gleichen Stellenwert, wie dies noch vor dreißig oder fünfzig Jahren der Fall war. Die Gesellschaft verhält sich opportunistisch und steht nicht mehr pauschal hinter einer Partei, sondern eher punktuell hinter einer Haltung. Das macht es für die Etablierung eines flächendeckenden Rückhalts noch einmal schwerer. Man sieht dies im ständigen Ringen um die Perspektive und Interpretation, selbst wenn man als Partei/Fraktion im Grunde die gleiche Auffassung vertritt, wie der politische Mitbewerb.
Die Mitgliederzahlen werden nicht immer zum gleichen zeitlichen Abschnitt aktualisiert, so gesehen ist meine Tabelle unterhalb für statistische Zwecke mit dem einen oder anderen zeitlichen Versatz zu werten. Allerdings gab es Ich habe mir mal die aktuell verfügbaren Daten der Parteien zur Mitgliederzahl angeschaut. Hier die Tabelle:
Mitgliederzahlen der Parteien
Die stärkste Veränderung in der Mitgliederdynamik haben die Piraten mit einem deutlichen Plus von 2011 auf 2012, aber nun mit dem stärksten Minus von 2012 auf 2013. Ganze -7,2 % gehen an Mitgliedern wieder verloren. Die FDP verzeichnet hier mit den Werten Ende 2012 den zweitstärksten Mitgliederschwund um rund -2,5 %. Danach kommt Die Linke, die eine Erosion der Mitgliederzahlen um -1,9 % zu verzeichnen hat. Nun kommt der eigentliche zeitliche Versatz zum Tragen. Die FDP weit ihre Mitgliederanzahl auf ihrer Internetseite mit zirka 59.000 aus, auf Wikipedia findet man die Zahl 58.675 Stand Ende 2012. Mit dieser Zahl vergleiche ich die angegeben Werte von Bündnis 90/Grüne, die im Mai 2013 eine gewachsene Mitgliederanzahl von 60.808 angeben. Vermutet man, dass die FDP nicht sonderlich stark gewachsen ist, haben es die Grünen geschafft, die FDP zu überholen.
Bei CDU und SPD ist der Trend seit Jahren immer gleich. Die SPD hatte um 1975 rum mal über eine Mio. Mitglieder. Die CDU lag damals schon ein Stück weit weg mit knapp 700.000 Mitgliedern. Bei allen Betrachtungen rund um dieses Elefantenrennen aber deutlich zu kurz kommt ist die objektive Betrachtung. Die CDU ist in 15 Bundesländern aktiv, die Schwesterpartei CSU nur in Bayern. Aber alle anderen Parteien sind in 16 Bundesländern aktiv. Vergleicht man also die absoluten Mitgliederzahlen der CDU mit der der SPD, dann umfassen diese beiden Werte bei der CDU 15 Bundesländer und bei der SPD alle 16. Für eine objektive Betrachtung habe ich deshalb die Darstellung nach den reellen Bedingungen vorgenommen:
Mitgliederzahlen der Parteien
Darstellung nach den reellen Bedingungen auf Basis aller Bundesländer:
Hier sind CDU und CSU in einer gestapelten Säule. Da die CSU traditionell sehr stark ist, zeigt der Abstand zur SPD doch ein deutliches Signal. Da die SPD in den Mitgliederzahlen ebenso die bayrischen Mitglieder listet, ist diese Darstellung aus meiner Sicht folgerichtig.
Nun kann man natürlich herrschaftlich darüber streiten, ob diese Ergebnisse Erfolg für die eine, Niederlage für die andere Partei sind. Alles Nonsens. Realität ist, dass immer weniger Menschen hinter der Politik der Parteien stehen, geschweige denn, ihnen beizutreten und mit dem Mitgliedsbeitrag die Sympathie zu bekunden. Bis zu einer aktiven Mitarbeit kommen nicht viele, was sehr schade ist. Wie heißt es so schön:
Jeder, der sich zu fein für die Arbeit in der Politik ist, muss damit leben, von denen regiert zu werden, die es tun.
Politische Jugendorganisationen
Henrik Bröckelmann ist mit Leidenschaft an dem Thema dran, den Jusos die aktuellen Mitgliedszahlen zu entlocken. Siehe seine Initiativen unter broeckelmann.info dort die Beiträge Liebe Jusos! und Liebe Jusos! – Die Zweite.
In seinem zweiten Beitrag hatte Henrik auf einen Artikel der Rheinischen Post verlinkt:
Analyse: Parteien sind überaltert und erstarrt
VON SEBASTIAN MÜNSTER. Düsseldorf (RP). Der Altersschnitt der großen Parteien liegt über dem der Bevölkerung. Seit der Wiedervereinigung sinken die Mitgliederzahlen rasant. Politologen kritisieren, dass die Parteiführung dem Nachwuchs den Aufstieg erschwere. Quelle: nachrichten.rp-online.de/…/parteien-sind-ueberaltert
Darin sind die Mitgliederzahlen der politischen Jugendorganisationen aufgelistet. Diese hatte ich bei meinen letzten Blog-Beiträgen nicht berücksichtigt. Das hole ich gerne ab diesem Blog-Beitrag nach. Die Junge Union ist also nach aktuellen Zahlen mehr als doppelt so stark, wie die zweitgrößte politische Jugendorganisation – die Jusos.
Dafür kann man sich nur wenig kaufen, wie der Artikel in der RP aufzeigt. Denn die politischen Jugendorganisationen gelten nach Auffassung des Redakteurs nicht mehr als die Kaderschmieden für ihre Mutterparteien. Ich habe eine differenzierte Meinung hierzu. Über die Junge Union begann für viele der kommunalen CDU-Mandatsträger die politische Leidenschaft. Ohne die Junge Union wäre der Weg vermutlich nicht in die CDU gemündet, sondern in andere Engagements. So gesehen plädiere ich weiterhin für ein hohes Engagement der JU. Nur wenn die Jugend politische Leidenschaft entwickelt, kann dem negativen Trend entgegengetreten werden.
Bundes- und Landtagswahl als Chance
Und irgendwie ist es wie im Fußball. Eine WM belebt unglaublich den Sport. Bei der Bundestagswahl und auch bei Landtagswahlen ist es so, dass im Rahmen der Wahlkämpfe und in den Wochen danach viele Neumitglieder in die Parteien strömen. Wir Hessen polarisieren hoffentlich mit zwei zeitgleichen Wahlen besonders, tut es doch gerade der kommunalen Politik vor Ort sehr gut, wenn neue Mitglieder ein neues Engagement einbringen, frischen Wind und neue Perspektiven in die Strukturen bringen. Ich wünsche es mir und hoffe sehr darauf!
Beste Grüße
Marcus Reif
—
Update
16.08.2013: Spiegel Online griff das Thema heute auch auf und gibt aktuelle Mitgliederzahlen wider:
SPD: 472.469 Mitglieder
CDU: 469.575 Mitglieder
CSU 147.965 Mitglieder
CDU/CSU: 617.540 Mitglieder
Mehr dazu im Artikel auf Spiegel.de:
Lieber Marcus Reif,
ein sehr interessanter Beitrag, in dem mich die Betrachtung der Jugendorganisationen besonders gefreut hat. Ein paar mehr Zahlen dazu fände ich hilfreich (außer die der Jusos, die dort ja offenbar schweigen). Allerdings möchte ich gerne einen weiteren Aspekt hinzufügen.
Bei den sehr heterogen organisierten Parteien CDU und auch teilweise bei der CSU kommt in der öffentlichen Betrachtung der Mitgliederzahlen die Tatsache zu kurz, dass es auch die Möglichkeit gibt, nur in einer Vereinigung mitzumachen.
Dies ändert zugegebenermaßen nichts am Trend, aber doch an den Zahlen und an dem von Ihnen beschriebenen Bild der gesellschaftlichen Verankerung.
So sind zum Beispiel ca. 35% der Mitglieder der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung in NRW nicht Vollmitglied der CDU, trotzdem aber Mitglied in dieser Parteigliederung. Alleine in Nordrhein-Westfalen und nur bei dieser einen Vereinigung macht dies bei 8500 Mitgliedern knapp 3000 nicht erfasste Mitglieder einer CDU-Gliederung aus. Bei der Jungen Union sind die Zahlen noch deutlich größer.
Insgesamt, so schätze, ich würde unter Einbeziehung dieses Sachverhaltes die “Mitgliederzahl” der CDU um bundesweit einige Zehntausende ansteigen. Dies nur zur Komplettierung des Dargestellten…
Lieber Stefan,
sehr richtig. Gerade die MIT, der Wirtschaftsrat sowie Senior- oder Frauen-Union und die Junge Union sind eigenständig organisiert. Wenn ich mehr Zeit für die Recherche finde, dann arbeite ich diese Perspektive gerne nach. Danke für den Hinweis.
Beste Grüße
Marcus Reif