Die althergebrachte Logik, dass Stellenanzeigen nur in Richtung aktiv-suchender Kandidaten wirken, ist bekannt. Doch wie hoch ist eigentlich der Bereich der latent-suchenden Kandidaten? Schauen wir uns das gemeinsam an.
Die seit Jahren typische Formel von 10 % aktiv suchenden Kandidaten, 60 % latent suchenden Kandidaten und den 30 % passiv Suchenden ist offensichtlich nicht mehr zeitgemäß. Gibt es noch passiv suchende Kandidaten? Sind wir nicht alle latent offen für Neues? Wer hört nicht zu, wenn ein Personalberater anruft oder liest, wenn ein Recruiter schreibt? Linkedin hat in einer weltweiten Umfrage herausgefunden, dass 90 % aller Befragten bei einem neuen Jobangebot zumindest zuhören würden.
Schlussfolgerung: 90 % der Linkedin-Befragten sind latent wechselbereit
Gibt es noch passive Kandidaten?
Stimmt die Hypothese, untermauert von der Befragung durch Linkedin, dann wäre der Anteil der passiven Kandidaten bei weniger als 10 %. Das Gros wäre nach dieser Lesart als latent zu bezeichnen, also jemand, dessen Interesse an einem Karriereschritt generell zu wecken wäre.Dass nur 10 % der Kandidaten sowie sozialversicherungspflichtig Angestellten aktiv auf der Suche sind klingt aus meiner Sicht logisch und nachvollziehbar, eher schon zu hoch gegriffen. Bei 42 Mio. Beschäftigten in Deutschland entspräche das ja einer Summe von 4,2 Mio. aktiv Suchender. Derzeit haben wir 2,8 Mio. Arbeitssuchende und vermutlich eine ebenfalls siebenstellige Anzahl an Menschen, die sich beruflich verändern wollen. Der Arbeitgeberwechsel wird allzuoft mit einem beruflichen Aufstieg verbunden. Finde ich ebenfalls nachvollziehbar.
– Marcus K. Reif
Und klar, es wird immer einen Teil Menschen geben, die absolut nichts von einem Karrierewechsel hören wollen. Wie groß dieser Teil ist? Verschwindend gering.
Aktiv, passiv und latent Suchende
Die Recruitingwelt teilt die Zielgruppen in aktiv Suchende, passiv Suchende und latent Suchende. In der Bedeutung für die beste Qualität und Rendite im Prozess sind die latent suchenden Kandidaten sicherlich am höchsten einzustufen. Aktiv Suchende bewerben sich in der Regel recht breit am Markt, da gelangt man mit einer starken Arbeitgebermarke sicherlich gut ins “Relevant Set” als potenzieller Arbeitgeber. Insbesondere, wenn der eigene Sourcingmix valide ist, ist das eine guter Startpunkt für die Attrahierung der aktiv suchenden Kandidaten. Hierbei dienen eine gute Karriere-Webseite, gutes SEO und SEA, eine gute Verlängerung der Anzeigen über Online-Stellenmärkte, um nur einige Elemente zu nennen.
Latent Suchende sind etwas schwieriger zu erreichen. Natürlich bieten die Online-Stellenmärkte Job-Alerts an. Aber wie viele aller Nutzer sind das, die über ein eigenes Konto und dann noch über einen Job-Alert verfügen? Sehe ich die Pageimpressäions und die Angaben der Online-Stellenmärkte, muss ich davon ausgehen, dass dies eine sehr geringe Zahl von unter 10 % ist. Aber an diese latent Suchenden wollen wir ran! Deshalb prosperiert der Markt der Personalberatungen, Executive Search und Headhunter so dermaßen.
Wir – mein damaliges Team und ich – haben vor 20 Jahren angefangen, das Active-Sourcing ins Recruiting einzubauen. Philips war da sehr früh am Start und ich durfte mit meinem Team bei Accenture nachziehen. Wir konzentrierten uns zunächst auf Xing und Linkedin, auf Lebenslaufdatenbanken und Chat-Communitys. Genau dort sind diese latent Suchenden – auf den Business-Netzwerken. Ob heute noch wirklich alle Hierarchie-Ebenen auf den wichtigen Business-Netzwerken präsent sind, bezweifle ich. Gerade auf Xing, so meine Beobachtung, gehen gerade viele und löschen ihre Profile. Die Active-Sourcing-Bemühungen ermüden zunehmend. Bei manchen Profilen ist man schon froh, wenn 10 % der Angesprochenen auf die Ansprache reagieren. Man ist ja nicht alleine unterwegs. Und jeder wird selbst auch ein Lied davon singen können, wie viele Anfragen und Ansprachen man so pro Monat bekommt.
Übrigens betreuten wir in diesem Team auch die Personalagenturen, Body-Leaser, Personalberatungen und Headhunter. Die Bündelung der aktiven Kanäle, zu denen neben Active-Sourcing eben auch die Searchfirms als Verlängerung der Recruiting-Werkbank gehören, ist richtig klug und sorgt für klare Abläufe, Ansprechpartner und Transparenz.
Eigenschaften der laten suchenden Kandidaten
In der Regel finden Sie diese nicht auf Stellenbörsen, weder in den Printmedien, noch online. Natürlich kann man damit jemanden aus der gewünschten Zielgruppe treffen, doch die Streuverluste sind inakzeptabel hoch. Sie müssen die Klaviatur der aktiven Sourcingkanäle und -instrumente spielen. Der Headhunter, das Active-Sourcing sind nur zwei Beispiele. Ihr Netzwerk und das Ihrer Mitarbeiter lassen sich über Mitarbeiter-werben-Mitarbeiter-Programme recht gut hebeln. Aber auch Talente-Pools, die Sie über die Zeit aufgebaut haben, helfen dabei. Die alte Regel: “jeder kennt jemanden, der jemanden kennt” gilt auch in diesem Fall. Sie müssen nur Ihre Kollegen mit einfachen Programmen und keinen überladenen Richtlinien dazu ermuntern, die Recruiter auf die richtigen Profile hinzuweisen.
Ich wünsche Ihnen viel Erfolg dabei. Die richtigen Mitarbeiter zu gewinnen ist strategische Kerndisziplin für alle in HR und im Fachbereich!
Beste Grüße
Ihr Marcus K. Reif