Im Jahr 2000 gab es ein Technologie-Unternehmen, welches seit vielen Jahren unangefochtener Marktführer war in so vielen unterschiedlichen Bereichen. Auf der Endverbraucher- und der Unternehmensseite spielt dieses Unternehmen eine herausgehobene Rolle. Durch Innovationen und technisch begeisternde Lösungen wurde das Unternehmen zum absoluten Marktführer. Und bei allem Wachstum mit mehreren tausend Einstellungen jeden Monat entwickelte sich etwas, was Unternehmen heute mit Sorge begleiten: Silos.
Durch Hierarchien, komplexe Abstimmungskaskaden durch die Führungsebenen hinweg hat sich in diesem Unternehmen etwas verändert. Eine schnelle Organisation mit hoch talentierten und visionären Mitarbeitern, die allesamt am gleichen Strang zogen, mutierte zu einem aufgeblähten und bürokratieüberladenem System. In diesem System wurden Führungskräfte eher danach gemessen, individuelle, auf Mikroebene runtergebrochene Ziele zu managen als neue Innovation und visionären Gedanken den nötigen Freiraum zu geben. Wir kennen diese Aspekte alle. Aus Sorge, einen Fehler zu machen, werden Abstimmungsprozesse in extenso ausgedehnt, um alle Mit- und Freizeichnungen zu erhalten und dadurch eine persönliche Risikominimierung zu erhalten. Dieser Fehler-Selbstschutz wird gemessen in einer toxischen Fehlertoleranz, die am Ende nicht zu besseren Ergebnissen führt, sondern zu einer Kastration Ihrer Innovationsfähigkeit.
Während in den schnellen Wachstumszeiten junge Talente nächtelang die besten Codes in die Softwareentwicklung einbrachten, mit Spaß und Leidenschaft Arbeitszeit ausdehnten, Freizeit opferten, um das gemeinsame Ziel – den Purpose – zu erreichen, wich diese aus Startups bestens bekannte Kultur einer Nine-to-Five-Mentalität und Dienst nach Vorschrift. Neu eingezogene Managementebenen trafen Entscheidungen, die gegenläufig zur Geschäftsstrategie wirkten, nur um als Entscheider auch was beizutragen. Diese “foolish management decisions” sorgten weiter für eine Reduktion der so wichtigen Innovationsfähigkeit.
Das Unternehmen ging 1986 bereits an die Börse und das war für die saturierte Mitarbeiterschaft ein echter Hemmschuh. Das Motto “rest and vest” führte dazu, dass viele Stunden mit dem Blick auf das eigene Depot vergingen, anstelle neue Innovationen voranzutreiben. Die IPO-Lethargie ist allseits bekannt. Mit der Größe und der Komplexität eines börsennotierten Softwareunternehmens kamen die Plagen der heutigen Zeit. Unzählige Meetings, Abstimmungskaskaden, Entscheidungshemmnisse, Kommunikationszwänge, Machtorientierung.
Um der massiv gestiegenen Mitarbeiterschaft Rechnung zu tragen, implementierte man ein Zielvereinbarungs- und Leistungsbeurteilungssystem, welches – wir erinnern uns an GE und Jack Welchs Überzeugungen eines zeitgemäßen Performance-Managements – eher die Siloisierung beförderte als die Collaboration. Die brutale Unternehmenspolitik der “Bell Curve” löste die auch heute noch in vielen Unternehmen zu beobachtende Lähmung aus. Und nicht nur das. Menschen werden konditioniert durch die “forced distribution” und schauen mehr auf ihre Halbjahresperformance als auf langfristige Erfolge durch Innovation, die sich kurzfristig jedoch nicht in Rendite auszahlt. Konditionierung der Zielvereinbarung mit KPIs, die keine Langfriststrategie möglich machen!
Endlose interne Kompetenzgerangel und Verantwortungsgrabenkämpfe lähmten die Entwicklung des Unternehmens konstant und weiterhin. Mögliche Potenziale in der Entwicklung neuer Produkte, beispielsweise durch die E-Books oder Smartphones, konnten nicht in ihrer Gänze erkannt werden. Ein Markteinstieg einige Jahre später wurde unverhältnismäßig teuer erkauft. Bereits Ende der Neunziger war den meisten klar, dass sich die Printmedien wandeln werden. Das Downloaden von elektronischen Inhalten auf tragbare Devices wird ein Milliardenmarkt werden. Bücher, Zeitungen, Magazine, auch eigene Inhalte werden eine große Rolle spielen. Doch der E-Reader wurde durch interne Machtgerangel nicht möglich.
Beispielsweise hatte diese Firma den Einstieg in den digitalen Musikmarkt völlig verschlafen. Weil das gewünschte Betriebssystem nicht für portable, kleine und speicherorientierte Musikplayer nicht anzupassen war und der Grundsatz der Firma, nur über die Plattformstrategie eine technische Diversifizierung vorzunehmen, verlor man satte sieben Jahre auf den damals kaum wahrnehmbaren Konkurrenten Apple. Bereits im November des Jahres 2003 schrub der CEO dieses Unternehmens an sein Management, dass man den Einstieg in den lukrativen, derzeit stark disruptiven Musikmarkt verpassen würde. Apple hatte bereits seit Oktober 2001 den iPod am Markt und etablierte sich mit hoher Geschwindigkeit. Musikservices müssten digital sein und die passende Soft- und Hardware existiere nicht im Portfolio. Am 14. November 2006 war es dann soweit. Endlich wurde, mehr als fünf Jahre nach Apple und damit viel zu lange nach dem nun Marktführer, ein eigener tragbarer Musikplayer vorgestellt. Er konnte, was der iPod konnte, allerdings nicht eine Funktion mehr. Schlimmer noch, die Usability und die User Experience reichten bei Weitem nicht an Apples iPod heran. Und was geschah 54 Tage nach? Wie das Schicksal so will, präsentierte Apple 54 Tage nach dem Start dieses tragbaren Musikplayers sein neuestes Produkt: das iPhone! Und Steve Jobs löste damit eine völlige Disruption der Nutzung tragbarer Geräte aus, wie wir heute tagtäglich erleben.
Auch heute noch ist das Unternehmen Marktführer im Bereich der Betriebssysteme und des Officepakets. Doch mit den Zeiten einer fast 90 %igen Abdeckung der installierten Betriebssysteme hat die Realität wenig zu tun. Der Wettbewerb hat plattformübergreifend zugelegt und die Märkte, Unternehmen und Konsumenten sind mittlerweile auch mit Tablets gut versorgt, was den klassischen PCs oder den Notebooks mit diesem OS stark Marktanteile raubte. Sämtliche Produkte, wie ein eigenes soziales Netzwerk, eine eigene Suchmaschine, um gegen Google Marktanteile zu erobern, ein eigenes Smartphone, Smartphone-Betriebssysteme, ein eigenes Tablet – alles verpasste Chancen eines vormals unerreichbaren Marktführers. Die Firma wurden mit Bürokratie und der üblichen Destruktivität, die damit einherging, überzogen. Sie erkennen an diesen vielen Beispielen, wie sehr Kultur elementar für den Erfolg eines Unternehmens und seiner Business-Strategie ist. Wir HRler haben das erkannt und kämpfen dennoch gegen Windmühlen.
Das Unternehmen, über das ich hier exemplarisch schreibe, ist Microsoft! Kurt Eichwald hatte hierzu einen wunderbaren Beitrag verfasst, an dem ich mich orientierte. Mir geht es um die Wirkung der Unternehmenskultur auf die Strategie, Eichwald beleuchtete eher die Zwänge, die einen Marktführer in der Beibehaltung seiner Innovationsfähigkeit beeinflussen:
MICROSOFT’S LOST DECADE
Once upon a time, Microsoft dominated the tech industry; indeed, it was the wealthiest corporation in the world. But since 2000, as Apple, Google, and Facebook whizzed by, it has fallen flat in every arena it entered: e-books, music, search, social networking, etc., etc. Talking to former and current Microsoft executives, Kurt Eichenwald finds the fingers pointing at C.E.O. Steve Ballmer, Bill Gates’s successor, as the man who led them astray. Lesen Sie weiter unter vanityfair.com/…/microsoft-lost-mojo-steve-ballmer
Die Grundpfeiler eines Kulturwandels sind die geltenden Werte im Unternehmen, das Unternehmensverständnis, Wissen über die Unternehmensstrategie, gewünschte Normen sowie die Sozial- und Kommunikationskompetenz der Führungskräfte innerhalb des Unternehmens.
Beste Grüße
Ihr Marcus Reif
Sehr interessanter Beitrag und Rückblick. Mir stellt sich die Frage, wie Eichwakd und/oder Du das heutige Microsoft unter Nadella beurteilst. Da scheint ja ein gewisser Wandel, vielleicht auch Kulturwandel vonstatten zu gehen.
Auf jeden Fall ist der Beitrag Grund genug für mich, meine alten Beiträge zu Microsoft herauszuholen, zu lesen, manchmal den Kopf zu schütteln (meist bei meinen Werbeblöcken, aber ich bin halt Marketing) und vielleicht basierend auf all den Informationen einen neuen Beitrag zu schreiben.
Nochmals lieben Dank.