Christoph Athanas lud mich zu seinem dritten HR-Talk ein. Sein Videocast ist super frisch und toll gemacht. Thema des dritten Videocasts ist: frischer Wind/Change durch Job-Quereinsteiger und Vermeidung von Pinguin-Recruiting. Hat viel Spaß gemacht. Hier das Video und noch in voller Länge meine Antworten:
HR-Talk: Videocast Quereinsteiger
und hier die langen Antworten für alle, die gerne noch klassisch lesen 😆
Alle rufen nach neuen Ideen und kreativen Leuten, die helfen Dinge zu verändern, aber in der Bewerbungsrealität sieht es für Quereinsteiger meist nicht gut aus. Warum tun sich so viele Unternehmen schwer damit Quereinsteiger zu rekrutieren?
Viele beklagen immer noch den War for Talent. Das ist statistisch auch nicht falsch, dass mehr Leute den Arbeitsmarkt verlassen als neue nachkommen. Doch wir dürfen dies auch nicht als pauschale Entschuldigung gelten lassen für die allgemeine Selektionsarroganz in den Unternehmen. Da sind das fixe Idealbild des Kandidaten und ein Hang zu Biografie und Noten sowie ein ausgeprägter Stringenzfetisch. Dabei ist immer noch der Wunsch, Superman zu rekrutieren, der für den Job 60 Stunden die Woche brennt. Und damit treiben wir die falsche Kultur. Ein Unternehmen ist nur erfolgreich im Team, niemals mit Einzelkämpfern.
Wir erleben immer noch Stellenanzeigen, die kaum Raum lassen für Kandidaten, die von der Seite einsteigen wollen. Quereinsteiger haben keine Lobby, in den Unternehmen zählt immer noch die homosoziale Reproduktion. Lustigerweise sind dies auch die Unternehmen, die “Diversity” als einen ihrer Werte exponieren.
Da ist Diversity dann vermutlich auch nicht mehr als: bring mir ein Mini-me und das gerne weiblich. Übrigens, Vielfalt gelingt nur, wenn wir das fixe Idealbild fallen lassen. Wir müssen die alte Küchenweisheit “Gleich und gleich gesellt sich gern” ad acta legen. Das Thema Pinguine rekrutieren Pinguine habe ich oft beleuchtet hier auf meinem Blog. Aber weshalb ist die Homosozialität denn problematisch? Wir schauen alle durch Filter auf die Welt. So bei der Personalauswahl, bei der Beurteilung von Leistung sowie bei Beförderungsentscheidungen bei Potenzial. Zu viel des Gleichen kostet uns am Ende wirklich notwendige Innovationsfähigkeit. Wenn alle gleich denken und ähnlich handeln, wie soll da Neues entstehen? Statt Vielfalt bleibt Einfalt. Kreativität und unterschiedliche Perspektiven bleiben auf einem niedrigen Niveau.
Die Unternehmen müssen erkennen, welche High-Performer in ihren Unternehmen sind und ob sie diese heute noch einstellen würden. Die Antwort ist metaanalytisch abgesichert: nein. Sie würden heute nicht mal ihre besten Leute rekrutieren.
Welche Signale sollten Arbeitgeber in ihrer Kommunikation aussenden, damit sie für Quereinsteiger attraktiv sind?
Zunächst gilt es, konsequent nach innen hinweg an den Überzeugungen und Glaubenssätzen zu arbeiten. In meiner Zeit bei einer der Big4 haben wir das Employer-Branding und die Personalmarketinginstrumente genutzt, um die Veränderung nach innen anzutreiben. Wenn man 5.000 Einstellungen im Jahr generiert und allen verspricht, dass flexible Arbeitszeitmodelle, Flexibilisierung von Arbeitszeit und Arbeitsort, moderne Führung und Selbststeuerung völliger Alltag sind und man im Job feststellt, dass dies nur Lippenbekenntnisse waren, äußert man seine Erwartung lauter. Frühfluktuation und Fluktuation sind hier wichtige KPIs. Die Idee war, alle neuen Talente im Unternehmen als Botschafter für die kulturelle Veränderung zu gewinnen.
In den Unternehmen folgen die Prozesse immer noch dem tradierten Leitbild, dass Absolventen kommen und 25 Jahre bleiben. Doch die Portfolio- oder Mosaikkarriere ist der neue geradlinige Karrierepfad.
– Marcus K. Reif
Ist das dann glaubhaft und konsequent umgesetzt, reicht doch der Satz: “Quereinsteiger willkommen” auf der Karriere-Seite und die breitere Formulierung der Wunsch-Biografie sowie konkrete Nennung der Kompetenzen in den Stellenanzeigen.
Welche Fehler müssen Arbeitgeber in der Personalauswahl unbedingt vermeiden, damit Quereinsteiger gewonnen werden können?
Das ist eigentlich gar keine Raketenwissenschaft. Mit diesen Empfehlungen hier gelingt es schon viel besser:
- Anforderungsprofil in nüchterner Klarheit anhand eines Kompetenzmodells
- Stellenanzeige sollte diese Anforderung gut beschreiben
- die Personalmarketing-Instrumente müssen dies glaubhaft widerspiegeln
- in der Attrahierung der Zielgruppen darauf achten, dass niemand den Prozess manipulieren kann
- Teilstrukturierte Personalauswahl mit Fokus auf Eignungsdiagnostik zur Erkennung von Talent und Potenzial
- und entlang des Kompetenzmodells
Ist das Bauchgefühl ausgeklammert, ist schon viel erreicht. Wer sagt: “Potenzial erkenne ich nach zwei Minuten” ist ein Lebendbeispiel für den Dunning-Kruger-Effekt. Mehr als Sympathie und Antipathie lässt sich mit Bauchgefühl kaum bewerten. Wir sind immer noch sehr Hardskill-orientiert in unserer Auswahl. Wir schauen zu sehr auf Biografie und Noten. Doch eine Karriere wird ausschließlich über die Softskills entschieden.
Übrigens beurteilen wir High-Performer auch an den falschen Kriterien. Auch hier gewichten wir zu sehr die harten KPIs Umsatz, Leads etc. Doch ein Top-Performer im Unternehmen hat eine sehr hohe Ausprägung des Softskills Vertrauen. Dies ist der zentrale Baustein für gute Führung, für Motivation, Zufriedenheit und Sicherheit. Was gänzlich anderes als die Angstkultur der Micromanager.
“Quereinsteiger” ist ein weit gefasster Begriff. Gibt es etwas an diesen Kandidaten, was Arbeitgeber grundsätzlich voraussetzen dürfen oder definiert sich diese Erwartung ideal nur am jeweiligen Jobprofil?
Wie gerade erwähnt, ist eine Softskill-orientierte Beurteilung von Eignung, von Leistung und Performance sowie von Potenzial elementare Grundlage, um im Jahr 2021 eine annähernd gute Personalentscheidung zu treffen. Ohne diese Änderung der Perspektive schwindet die Fähigkeit, die richtigen Talente zu gewinnen.
Und letztlich geht es nicht nur um die Frage, was muss ich tun, um Quereinsteiger zu gewinnen. Es geht natürlich zunächst um die Frage, welche Unternehmenskultur und welche Führung muss ich bieten, damit sie bleiben! Fun-Fact: der Führungsstil Command & Control und der Micromanager als Abteilungsleiter sind es definitiv nicht. Manchen Führungskräften möchte man raten, einmal sich selbst zu begegnen. Wir haben zu wenig positive Erlebnisse durch gute Führung. Weisung, Kontrollbedürfnis und Mikromanagement herrschen allzu oft vor.
Recruiting-Dilemma ist ja, dass wir oftmals innengerichtet agieren. Fachbereiche investieren zu wenig in gute Führung und moderne Kultur, kaum Flexibilität von Arbeitszeit und Arbeitsort. Und das drückt Fluktuation nach oben.
Denken Sie für ihren künftigen Karriereweg an diese nachfolgenden Punkte:
- ohne Softskills keine Karriere
- akademische Leistung nicht überbewerten
- eine Karriere entscheidet sich stets an der Leistung, nicht an der akademischen Biografie
- akademische Abschlüsse sind Türöffner für bestimmte Berufe und Arbeitgeber,
- bieten mithin das gebotene theoretische und wissenschaftliche Rüstzeug
- Erfahrung schlägt allerdings immer Schul- und Studienleistungen
- und seien Sie relevant!!!
Hire character, train skills
Und letztlich bleibt die Frage: wie viele Personaler haben die Power im eigenen Haus, dies umzusetzen? Wir haben kein Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem!
Beste Grüße
Ihr Marcus K. Reif