erschienen im Leipziger-HRM-Blog von Prof. Peter M. Wald:
Ich wiederhole mich: Über Personaler und das Personalmanagement wird im Moment viel gesprochen – weniger mit den Personalern. Dies soll hier anders sein, denn ich spreche mit Personalern in dieser Interviewreihe über die Perspektive von “HR” insgesamt. Mit diesem Interview wird die in der letzten Woche gestartete Reihe fortgesetzt. Heute steht mir mit Marcus K. Reif, ein HR-Insider, Chief People Officer bei Kienbaum, aber auch ein „alter“ Twitter- und XING-Bekannter und HR-Blogger zur Verfügung, dem ich bereits jetzt ganz herzlich für die Teilnahme danke.
Marcus K. Reif ist Chief People Officer für die Kienbaum Consultants International GmbH. Als Personalleiter verantwortet er national und international die Zentralfunktion Personal, berät das Geschäftsführungsgremium von Kienbaum und berichtet direkt an Jochen Kienbaum. Er hat zahlreiche Publikationen zu Themen Personalmanagement, Arbeitswelt, Recruiting, Employer-Branding und Changemanagement veröffentlicht. Er verfügt über 20 Jahre Beratungserfahrung, u. a. in Stationen als Leiter Recruiting und Employer-Branding für die Länder Deutschland, Schweiz und Österreich bei EY (Ernst & Young), bei der Unternehmensberatung Accenture, der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, TMP Worldwide und jobpilot. Darüber hinaus betreibt er den renommierten HR-Blog www.reif.org.
Wald: Vielen Dank für die kurze Vorstellung. Wie ist Ihre Position im Personalmanagement bzw. worin bestehen Ihre konkreten Schnittstellen zum Personalmanagement?
Reif: Ich arbeite seit genau 19 Jahren im Personalbereich, dort mit Schwerpunkten in der Personalbeschaffung und der Arbeitgeberattraktivität. Seit Oktober bin ich in einer deutschen Unternehmensberatung für die gesamte People-Funktion zuständig und betreue dort die ganze Palette unserer People-Arbeit.
Wald: Wie schätzen Sie den gegenwärtigen Status bzw. das Standing der Personaler insgesamt ein?
Reif: HR wird oft belächelt als eine Einheit, die anderen bei der Arbeit zuschaut. Und da jeder seine pünktliche Gehaltsüberweisung wünscht, schleift man die HRler eben mit. Wir müssen raus aus diesem Klischee! Aber Beispiele gefällig, weshalb es uns der noch nicht gelingt? Wir sind viel zu oft der Wombat. Nicht das Tier, sondern das Akronym für “waste of money, brain and time”. Wir können es uns als Personaler nicht mehr leisten, Dinge zu implementieren und diese über Jahre zu betreiben. Wir werden viel stärker in die Verantwortung genommen, den Wandel zu managen und zu gestalten. Die Digitalisierung ist die Chance, unser Klischee “keine Ahnung vom Geschäft, zu bürokratisch, zu langsam, irrelevant” abzustreifen.
Wald: Was meinen Sie, warum wird das Personalmanagement heute (trotzdem) so oft und teilweise heftig kritisiert?
Reif: Der HR-Bereich wird von unseren Kunden innerhalb des Unternehmens nicht als wertschöpfend wahrgenommen. Die Perspektive ist „HR kann doch jeder“ – wo stets mitschwingt, dass unsere Arbeit losgelöst von einem People-orientierten Kompetenzmodell zu erbringen sei. Dabei sind wir nicht immer schuldlos. Wir diskutieren nicht nur unsere eigene Arbeit viel zu technisch, sondern kommen nicht im Ansatz auf Augenhöhe zum Business. Und wenn dies nicht gelingt, nimmt man uns nicht ernst. Fatal für eine Einheit im Unternehmen, die gerne vom Verwalter zum Gestalter reüßieren möchte. Also die Distanz zur Frage des Fachbereichs, das Agieren in einem risikominimierten und von umfassenden Guidelines bestimmten Alltag führt uns eben genau zu dieser Perspektive und einem ausgeprägten Zynismus auf Kundenseite.
Wald: Wo sehen Sie in der nächsten Zeit konkreten Änderungsbedarf bei Leistungen und Angeboten des Personalmanagements?
Reif: 65 % unserer Kinder bekommen Jobs, die es heute noch gar nicht gibt. Das Thema Digitalisierung ist jung – und doch ist schon viel geschrieben worden über die vierte industrielle Revolution der Arbeitswelt. Über Industrie 4.0, die Szenarien einer drohenden Massenarbeitslosigkeit, über Roboter, die Menschen ersetzen. Tatsächlich lässt die fortschreitende Technisierung die Grenzen zwischen virtueller und realer Arbeitswelt zunehmend verschwimmen. Doch dieser Prozess bietet auch enorme Chancen für die Zukunft unserer Arbeit. Die Digitalisierung der Arbeitswelt bedeutet vor allem Wachstum.
Digitalisierung ist keine Panikmache, sie ist unser Freund. Während wir heute üblicherweise in Ratios unterwegs sind von 1 zu 70 (ein HR-Mitarbeiter auf 70 der Gesamtmitarbeiterschaft), wird die Zukunft – alleine aus der Kostenperspektive – uns zu wendigeren, schnelleren und günstigeren Einheiten zwingen. Wir werden vermutlich auch nicht mehr in Büros rumhocken, nicht nur, weil die Präsenzdenke ausläuft, sondern weil wir bei unseren Kunden sein werden. Und sind wir nicht bei den Kunden, arbeiten wir von zu Hause, um die Zeit mit der Familie und unseren Hobbys besser zu vereinbaren. Wir werden digitale Applikationen nutzen, um die Personalprozesse zu bedienen. Das physische Rumsitzen erfolgt rein aus kommunikativen Erwägungen. Voraussetzung ist, dass HR nicht irgendwas tut, sondern einen erkennbaren Wertbeitrag zur Geschäftsstrategie liefert.
Wald: Was werden die Schwerpunkte des Personalmanagements in 10 Jahren sein?
Reif: Die zentrale Frage nach der Ausrichtung Ihrer HR-Organisation: sind Sie transaktional oder transformational unterwegs? Wie analog oder digital sind Sie aufgestellt? Die Zukunft der HR-Welt liegt mit Sicherheit nicht im Transaktionen Umfeld. Wir müssen vom Verwalten zum Gestalten gelangen! Trennen Sie Ihre Organisation in die beiden Bereiche “Transaktion” und “Transformation”, somit in “run the business” und “change the business”. Das sind aus meiner Sicht die Elemente erfolgreicher HR-Arbeit.
Wir begegnen den Herausforderungen Personal-seitig durch eine höhere Vernetzung sowie von stärker verteilten Arbeitsplätzen. Mit neuen Technologien reduzieren wir unproduktive Zeiten, beispielsweise werden Meetings und Jour fixe stärker virtualisiert, was die aktive oder passive Reisezeit deutlich reduziert. Arbeit ist nicht mehr die Frage einer Adresse, an der ich meine Tätigkeit erbringe, sondern der Output, den ich dort generiere, wo ich meine Bedürfnisse am besten bedient weiß. Das ist nicht immer per se das Homeoffice. Das ist in der Realität stets eine Mischung aus Arbeitsorten, die ich so wähle, um Familie, Hobbys und persönliche Interessen miteinander in Einklang zu bringen.
Dabei erfordert digitale Transformation meist ein neues Geschäftsmodell, auf jeden Fall aber eine steigende Arbeitsproduktivität in Fabriken und Büros, eine schneller reagierende Organisation und eine konsequente Ausrichtung an den stetig wachsenden Kundenansprüche. Früher oder später beeinflusst der digitale Wandel also so ziemlich jeden Job. In nur 500 Tagen ist zum Beispiel die gesamte US-Hörgeräteindustrie auf 3D-Druckverfahren umgestiegen, um perfekt individualisierte Produkte zu liefern. Hersteller, die der alten Produktionsmethode treu blieben, sind vom Markt verschwunden. Das Beispiel zeigt: Strategischer Weitblick („3D-Druck revolutioniert meine Branche“), eine agile Organisation („die Umstellung darf keine 5 Jahre dauern“) und die richtigen Qualifikationen der Mitarbeiter („Experten für 3D-Druck und User Experience“) mussten zusammenkommen, um diesen Wandel in dieser Zeit zu schaffen.
Während wir heute üblicherweise in Ratios unterwegs sind von 1 zu 70 (ein HR-Mitarbeiter auf 70 der Gesamtmitarbeiterschaft), wird die Zukunft – alleine aus der Kostenperspektive – uns zu wendigeren, schnelleren und günstigeren Einheiten zwingen. Wir werden vermutlich auch nicht mehr in Büros rumhocken, nicht nur, weil die Präsenzdenke ausläuft, sondern weil wir bei unseren Kunden sein werden. Und sind wir nicht bei den Kunden, arbeiten wir von zu Hause, um die Zeit mit der Familie zu nutzen. Wir werden digitale Applikationen nutzen, um die Personalprozesse zu bedienen. Das physische Rumsitzen erfolgt rein aus kommunikativen Erwägungen.
Wald: Jetzt zur Frage 5+1 (für meine Alumni und Studierenden) Was empfehlen Sie jungen Personalern bzw. Studierenden, die eine Laufbahn im Bereich HR anstreben? Worauf sollten diese achten? Was ist und was wird wichtig?
Reif: Wichtig ist, jeder einzelne muss seine Relevanz zu seinem Wunscharbeitgeber erläutern können. Dabei ist wichtig, dass ohne Softskills keine Karriere mehr funktionieren wird. Die akademische Leistung sollten wir nicht überbewerten, eine Karriere entscheidet sich stets an der Leistung, nicht an der akademischen Biografie. Gleichwohl sind akademische Abschlüsse Türöffner für bestimmte Berufe und Arbeitgeber, bieten mithin das gebotene theoretische und wissenschaftliche Rüstzeug. Die People-Funktion der Gegenwart besteht immer mehr aus Persönlichkeiten, die den Wandel gestalten wollen und können. Dafür braucht es Leidenschaft und eine große Portion Neugierde.
Wald: Lieber Herr Reif, ganz herzlichen Dank für die Antworten. Ich wünsche Ihnen weiterhin viele Erfolge und zahlreiche neue Ideen.
Peters Blog ist übrigens echt lesenswert. Also werfen Sie doch mal einen Blick drauf: http://leipzig-hrm-blog.blogspot.de
Beste Grüße
Marcus Reif