Dienst nach Vorschrift oder die innere Kündigung sind Redewendungen, die uns alle geläufig sind. Ausgelöst durch ein Tiktok-Video lernen wir gerade den Begriff “quiet quitting”. In dem Video wird von der stillen Kündigung gesprochen als die Abkehr von der Idee, mehr zu tun als nötig. Die stille Kündigung ist kein neues Phänomen. Meist wird dies durch eine schlechte Erfahrung im Unternehmen ausgelöst. Man hat keine gute Führungskraft, bekommt ein schlechtes Feedback, fühlt sich ungerecht behandelt. Alles nicht neu.
Den Job machen, aber nicht mehr als das Nötige tun
In dem Tiktok-Video spricht Zaiad Khan über den Begriff der stillen Kündigung und was er da gerade lernt. Arbeitnehmer lehnen sich dagegen auf, im Job mehr zu leisten, als das, wofür sie bezahlt werden. Besonders nach der Pandemie ist vielen Menschen aufgefallen, dass arbeiten nicht alles im Leben ist. Aus diesem Grund sagen immer mehr Menschen Nein zu Überstunden, Extra-Aufgaben und Doppelschichten.
“You are still performing your duties, but you are no longer subscribing to the hustle culture mentally that work has to be our life.”
Man kündigt nicht seinen Job, aber man verabschiedet sich von der Idee, dessen Anforderungen immer überzuerfüllen. Man erfüllt immer noch seine Pflichten, aber fühlt sich nicht länger an eine Mentalität gebunden, die vorschreibt, Arbeit sei dein Leben. Das ist sie nicht, und dein Wert als Person wird nicht durch deine Tätigkeit definiert. Das ist zusammenfassend der Trend der stillen Kündigung.
stille Kündigung als Burn-out-Prophylaxe
Selbstfürsorge statt Ausbrennen. In Deutschland wird bis heute in vielen Branchen noch ein Superstar-Kult gepflegt. Es geht darum, immer das Beste zu geben, stetig aufzusteigen, durch High Performance eine Karriere zu machen. Wie oben schon erwähnt, hat die Pandemie viele Wissensarbeiter vor die Frage gestellt, ob man denn wirklich glücklich ist mit dem was man tut. Unternehmen sind auf die Purpose-Debatte furchtbar schlecht aufgestellt. Noch heute in einem an Talenten knappen Arbeitsmarkt müssen Kandidaten immer noch durch jeden Reifen springen, den die Hiring-Manager ihnen hinhalten. Man vergisst als Arbeitgeber die Power im War for Talent, der niemals besser zu greifen war als in diesen Zeiten.
Niemals Low-Performer sein
Performance-Management-Prozesse mit der Bell-Curve-Verteilung und “forced Distribution” teilt bis heute die Workforce in mehrere Teile. In steten Systemen, wie das Arbeitsverhältnis eben eins ist, will man nicht zu dem unteren Teil der Low-Performer gehören. Die Sozialisierung in diesen sehr leistungsorientierten Systemen findet innerhalb von Wochen nach dem Job-Start statt. Man verhält sich sozial erwünscht und systemadäquat.
Die Deutsche Kultur hat einen hohen Arbeitsethos. Sich richtig reinhängen gehört ebenso dazu, wie Mehrarbeit oder Überstunden. Die bekannte deutsche Gründlichkeit ist ein Resultat davon. Dennoch fällt in einem Arbeitnehmermarkt genau dieser Aspekt, nämlich die konsequente Selbstaufopferung für den Job, plötzlich hinten runter. Die Menschen wollen eine bessere Balance für ihr Leben. Der Job ist dabei wichtig, weil sozialer Aufstieg und Karriere immer noch wichtig sind, aber eben nicht mehr an Nummer eins stehend. Wir dürfen das nicht schwarz/weiß betrachten, sondern in Graustufen. Die Mitarbeiter holen sich ein Stück weit ihre Lebensqualität zurück und das ist alles in allem betrachtet doch gut und richtig.
„Quittest Du noch oder performst Du schon low?“
– Diskussion über “Arbeit nach Vorschrift”
New Work, Purpose, Flexibility
Wenn wir die Arbeitswelt beleuchten, erkennen wir seit Jahren einige Trends. In einem enger werdenden Arbeitsmarkt haben sich die Arbeitgeber dem Purpose, dem Sinn bei der Tätigkeit verschrieben. Um die besten Talente auf dem Markt zu gewinnen, die richtigen Mitarbeiter zu halten und weiterzuentwickeln, wird um neue und angepasste Führungsmodelle gerungen, die Unternehmenskultur weiterentwickelt und viel Flexibilität in die Arbeitsorganisation eingebaut.
New Work ist in aller Munde. Die Führung wandelt sich von transaktional geprägtem Management zum transformational geprägtem Leadership, die Micromanager mit ihren Reportings fallen aus der Zeit, echte Coaches mit Inspiration und Motivation gewinnen die Oberhand, Mitarbeiter bekommen mehr eigene Souveränität, um über ihre Arbeitszeit, den Arbeitsort zu entscheiden, sich selbst zu steuern und mehr Entscheidungsbefugnisse zu erhalten.
BCG zufolge zeichnet sich eine erfolgreiche Führung in der neuen Arbeitswelt durch “Kopf”, “Hand” und “Herz” aus. “Kopf” stehe in diesem Fall für klares Denken und intelligente Zukunftsplanung, “Hand” für Durchsetzungsvermögen, Entschlusskraft und Handlungsaktivität, während das “Herz” emotionale Fähigkeiten wie Rücksicht, Einfühlungsvermögen und Motivation der Führungskraft beschreibe.
Die reine Inputorientierung – ich habe gestern wieder 200 E-Mails bekommen, 12 Stunden gearbeitet usw. – ist sowieso dysfunktional. Der Output ist relevant und spielt eine Rolle. In Zukunft wird Stress nicht mehr als Zeichen gedeutet, dass jemand viel leistet, sondern als Unvermögen, eine Balance herzustellen.
Weshalb diese weite Exkursion? Ich stelle mir die Frage, inwieweit diese ganzen Bemühungen sich auszahlen angesichts solcher Trends, wie der stillen Kündigung.
Beiträge zur stillen Kündigung
- New York Times – Who Is Quiet Quitting For?
- Spiegel Online – Warum Dienst nach Vorschrift trendet
- Funke Digital/WMN – Arbeitstrend bringt Arbeitgeber zur Weißglut
- Legal Tribune Online – Quittest Du noch oder performst Du schon low?
- Business Insider – “STILLE KÜNDIGUNG: WIE ES DIESER LEHRERIN DAMIT GING
- Welt – Methode innere Kündigung – das neue Faible der Generation Z
Arbeitszeitgesetz
Wir haben in Deutschland ein weitreichendes und gutes Arbeitszeitgesetz. Als Personaler könnte ich kaum ein Element nennen, welches aus meiner Sicht einem dringenden Regelungsbedarf unterläge. In Deutschland wird der Arbeitsvertrag zur Verblüffung mancher Führungskraft mit dem Prinzip “Zeit gegen Geld” geschlossen. Ich erlebe in meiner Laufbahn als Personaler regelmäßig Vorgesetzte, die einen “Minderleister” kündigen wollen. HRler wissen, wie aussichtslos das auf kurze Sicht ist. Wir sollten den Trend der stillen Kündigung nicht dramatisieren. Ein Stück mehr compliant mit dem Arbeitszeitgesetz zu sein und mehr Achtsamkeit in der Führung zu leben dürfte auf lange Sicht dem Unternehmen besser stehen als von Überstunden und permanenten “Performane-Fights” ausgebrannte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Ihnen eine gute Zeit und viel Erfolg bei Ihrer Arbeit.
Beste Grüße
Ihr Marcus K. Reif