Vergangene Woche war ich bei einer Veranstaltung des Flörsheimer Solidaritätsvereins Für Flörsheim e. V. Dieser Verein wurde im September 2000 aufgrund der hessischen Planungen zur Erweiterung des Frankfurter Flughafens gegründet, da Flörsheim überproportional durch den Ausbau belastet wird. Mittlerweile umfasst der Verein mehr als 900 Mitglieder und ist einer der größten Solidaritätsvereine in der Region.
Der Verein Für Flörsheim hat den Bremer Epidemiologen Professor Dr. Eberhard Greiser nach Flörsheim in die Stadthalle eingeladen. Seine Studie, die Ende 2009 in den Medien zitiert und auch auf Spiegel.de darüber berichtet wurde, analysierte die Krankendaten von rund 800.000 Menschen, die rund um den Flughafen Köln/Bonn wohnen. Die Erkenntnisse sind eindeutig. Und niemand wird ernsthaft bezweifeln, dass übermäßiger Lärm (laut Studie >40 dB) gesundheitsschädlich ist. Die präsentierten Erkenntnisse habe ich unterhalb noch einmal zusammengefasst.
Bei der Veranstaltung in der Flörsheimer Stadthalle wurde mehrfach der Willen bekundet, eine vergleichbare Studie für den Großraum Frankfurt anzufertigen. Die Kosten wurden mit 500.000,- EUR angegeben. Für klinisch repräsentative Studien sind das keine hohen Beträge. Klinische Studien mit 20 Probanden kosten nicht selten ähnliche Summen.
Ob eine solche Studie den Flughafenausbaugegnern justizrelevante Argumente an die Hand gibt, die vorteilhaft für die Einhaltung der Mediationsergebnisse genutzt werden können, kann ich nicht beurteilen. Für mich als Laie sind die Ergebnisse eindeutig und lassen keinen Zweifel zu – Fluglärm ist gesundheitsschädlich. Weshalb sollten die hier im Rhein-Main-Gebiet wohnenden 1,8 Mio. Flughafenanrainer gesundheitlich anders auf Fluglärm reagieren, wie die 800.000 Köln-Bonner, erschließt sich mir nicht.
Diese Studienergebnisse sind ein gutes Argument. Und letztlich streiten die Kommunalpolitiker mit den Berufspolitikern nur noch über die Einhaltung des Mediationsergebnisses. Von der Verhinderung des Ausbaus, wie das viele noch vor einigen Jahren auf der Fahne stehen hatten, spricht heute kaum noch jemand. Trotzallem darf das Mediationsergebnis mit dem dort festgeschriebenen absoluten Nachtflugverbot zwischen 23:00 und 5:00 Uhr nicht ignoriert werden. Dies muss der Minimalkonsens für den Ausbau des Flughafen sein.
Hier das Expose aus der Studie von Professor Dr. Eberhard Greiser
Die Untersuchung von Professor Greiser stützt sich auf die Daten von 809 379 Versicherten von sieben gesetzlichen Krankenkassen mit Hauptwohnsitz in der Stadt Köln, im Rhein-Sieg-Kreis und im Rheinisch-Bergischen Kreis stützt. Ziel der Studie war es, mit Hilfe dieser Daten den Einfluss von Fluglärm auf die Verschreibung bestimmter Medikamente zu untersuchen. „Dabei hat sich gezeigt, dass sich sowohl die Verordnungshäufigkeit als auch die Verordnungsmenge relevanter Arzneimittel in Abhängigkeit von der Lärmintensität erhöht“, so Professor Greiser.
In dieser Untersuchung wurden dabei Verschreibungen von Medikamenten gegen Bluthochdruck, von Arzneimitteln zur Behandlung von Herz- und Kreislauferkrankungen, von Tranquilizern, Beruhigungs- und Schlafmitteln. „Bei allen diesen Mitteln steigen Häufigkeit und Menge der Verordnungen mit der Intensität des Fluglärms, dem die Menschen ausgesetzt sind“, hat Eberhard Greiser beobachtet. Dieser Anstieg lasse sich statistisch unabhängig von anderen eventuell maßgeblichen Faktoren – wie beispielsweise der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Schicht – nachweisen. Außerdem konnte der Wissenschaftler bei seiner Untersuchung beobachten, dass die schädlichen Wirkungen des Fluglärms sich bereits bei einer weitaus geringeren Lärmintensität bemerkbar machen, als in der Fluglärm-Synopse und der DLR-Studie angenommen. „Bei 48 dB (A) sehen wir schon maximale Effekte. Das ist ein Pegel, den die Autoren der anderen Studien noch für völlig vertretbar halten.“
Das Ergebnis ist eindeutig. Je höher die Lärmbelastung vom Fluglärm oder von anderen Verkehrsträgern ist, umso mehr Medikamente werden den Patienten verordnet. Vor allem Schlafmittel, Antidepressiva, Mittel gegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Mittel gegen Bluthochdruck. Da der Fluglärm das Immunsystem schwäche, hätten sich in Flughafenregionen auch die Krebserkrankungen erhöht.
Die Studie, die von sechs Professoren begleitet wurde, untersuchte Bürger, die mit Fluglärmdauerschallpegeln zwischen 45 und 60 Dezibel belastet sind und wertete von Krankenkassenmitgliedern insgesamt 1,8 Millionen Versicherungsjahre aus. Eine derart umfassende Studie ist in Deutschland bisher einmalig. Ihre Ergebnisse sind handfest, denn sie korrelieren mit Ergebnissen, die Gutachter zum Beispiel in den Niederlanden und in Skandinavien bei ähnlichen Untersuchungen gewonnen haben.
Frauen leiden nach dieser Studie mehr unter Fluglärm als Männer, was jedoch leicht zu erklären ist. Die Männer verlassen tagsüber das Haus und gehen andernorts einem Beruf nach, während viele Frauen, die nicht berufstätig sind, den ganzen Tag über dem Lärm ausgesetzt sind. Außerdem gehen Männer seltener zum Arzt, weshalb von ihnen weniger Daten vorliegen.
Absolutes Nachtflugverbot
Da sich beim Ausbau des Frankfurter Flughafens in der planfestgestellten und per Sofortvollzug baurechtlich nun genehmigten Nordwestlandebahn nur noch die Frage des Nachtflugverbots als Betriebsgenehmigung für den gesamten Flughafen stellt, muss man schauen, wie andere Flughafen damit umgehen.
- Leipzig und Berlin-Schönefeld: Flüge mit standortspezifischem Bedarf und existenzielle Expressflüge dürfen in der Nacht vorgenommen werden
- Köln-Bonn und Hannover: Nachtflüge mit Einschränkungen (und bei Köln-Bonn: nur drei der sechs An- und Abflugrichtungen in der Nacht geöffnet)
- Hahn: unbeschränkte Nachtfluggenehmigung
- München: in der Nachtzeit (22.00 bis 06.00 Uhr) Flugbetrieb nur mit besonders lärmarmen Flugzeugen und nur in eingeschränktem Umfang zugelassen
- Frankfurt (aktuell): 52 Flugbewegungen in der Nacht auf allen Bahnen
Und zukünftig hätten wir gerne ein absolutes Nachtflugverbot am kompletten Frankfurter Flughafen (höflich formuliert). Die Planungen sehen vor, dass die Nordwestlandebahn eine komplette Schließung in der Nacht erfährt und die im Planfeststellungsbeschluss stehenden 17 Ausnahmen, die allerdings neu geregelt werden müssen, sollen auf den beiden Hauptbahnen und der Startbahn 18 West erfolgen. Das ist leider kein Trost für Flörsheim, wenn man hochrechnet, dass jährlich bis zu 700.000 Flugbewegungen auf dem Frankfurter Flughafen erfolgen (bis 2020). Eine verträgliche Regelung muss erfolgen und die kann meines Erachtens nur anhand der Mediationsergebnisse erfolgen.
Die aktuelle Situation
Der VGH Kassel hat entschieden und den Ausbau grundsätzlich genehmigt. Die 17 Nachtflugverbotsausnahmen wurden als “zu viel” beschieden. Das VGH sagt nur, dass die Ausnahmen “annähernd null” sein sollen. Die zentrale Frage ist: wie viel Ausnahmen sind “annähernd null” bei 720 Flugbewegungen am Tag? Also für Philosophen wäre das ausreichend – weniger als 17 und mehr als 0. Aber der Anwohner und sicherlich auch die Richter hätten da gerne eine präzise Angabe. Darüber hinaus bescheinigt der VGH Kassel auch Bedenken, ob die zwischen 22:00 und 6:00 Uhr vorgesehenen 150 Flugbewegungen (inkl. der 17 zwischen 23:00 und 5:00 Uhr) notwendig und angebracht sind. Diese Bewegungen gehen über die so genannte Mediationsnacht hinaus. Da die Städte Offenbach und meines Wissens Neu Isenburg sowie das Land bereits Revision eingelegt haben, wird das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig eine Entscheidung treffen. Und – das muss angemerkt werden – entscheidet der Verwaltungsgerichtshof in Kassel noch über die Musterklage der Stadt Flörsheim in diesem Jahr. Ebenfalls zurückgestellt sind die 23 Musterklagen des Vereins Für Flörsheim e. V. Auch das könnte noch mal Salz in die Suppe bringen.
Aus meiner Sicht und der Sicht der Flörsheimer CDU muss die Revision das primäre Ziel verfolgen, ein rechtssicheres Nachtflugverbot für den Flughafen zu erhalten. Die Nachtruhe muss unversehrt bleiben. Die Folgen hat Prof. Greiser bereits mehr als deutlich gemacht!
Verweise:
Solidaritätsverein Für Flörsheim e. V. | http://www.fuer-floersheim.de
Studie von Prof. Dr. Eberhard Greiser “Beeinträchtigung durch Fluglärm” | http://www.umweltdaten.de/publikationen/fpdf-l/3153.pdf
Bericht zur Prof. Greisers Studie in der ZDF-Mediathek | http://www.zdf.de/ZDFmediathek/beitrag/video/933750/Studie-Fluglaerm-macht-krank#/beitrag/video/933750/Studie-Fluglaerm-macht-krank
Bericht aus der Main-Spitze zur Veranstaltung | http://www.main-spitze.de/region/floersheim/8168612.htm
Fluglärm-dB-Grenzen und Mediationsergebnis | http://atlas.umwelt.hessen.de/servlet/Frame/atlas/laerm/flugffm.htm
Beste Grüße
Marcus Reif
Hochinteressante Information für mich und meine Frau, die im Belastungsgebiet des Flughafens BBI Schönefeld seit 1982 wohnen.