In fünf Jahren ändert sich eine ganze Branche!
Vielleicht nicht in der Realität, aber in der Wahrnehmung. Ende der 90er Jahre waren die deutschen Tageszeitungen auf dem Zenit. Noch im Jahre 2000 kam die F.A.Z. mit dem Stellenmarkt an einem Samstag im April auf über 260 Seiten, so dass dieser getrennt von der Zeitung distribuiert wurde. Im November 1998 versammelte sich die gesamte Print-Branche auf einer Tagung der Zeitungs-Marketing-Gesellschaft. Postuliert wurde dort: „Die Verlage sind für die Herausforderungen der sich rasant verändernden Kommunikationsbranche gut gerüstet. Das Medium Zeitung hat eine große Zukunft.“
Fünf Jahre später, im Mai 2002, jedoch stellt Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender des Axel Springer Verlages, auf der Bilanzpressekonferenz seines Hauses fest: „Die deutschen Zeitungen stecken in der schlimmsten Krise seit über 50 Jahren.”
Was geschieht in fünf Jahren so Fundamentales, dass eine ganze Branche zwischen himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt sein kann? Ich vermute, man hat in den Jahren 1998 bis 2000 die fortschreitende Entwicklung und nahezu flächendeckende Verbreitung des Internets komplett unterschätzt. Über ein Jahrzehnt gilt noch bis heute das Dogma des crossmedialen Ansatzes im Vertrieb der Verlage. Dies dient im Wesentlichen der Flankierung des teureren Print-Produkts. Eine Anzeige in der F.A.Z. kostet gerne mal fünfstellige Summen, während eine Online-Stellenanzeige schon für 500,- EUR zu haben ist. Der erhöhte Kostensenkungsdruck der Unternehmen, die in einem multipolaren Wettbewerb stehen, forciert diese Entwicklung. Wir sehen nun – leider – eine völlige Erosion der Print-Stellenmärkte und eine fortschreitende Erosion der Print-Medien.
Ich bedaure dies, weil ich überzeugt bin, dass man gute Lösungen finden kann, die eine finanzierbare Basis für eine dauerhafte und nicht minder wichtige redaktionelle Vielfalt und Freiheit bedeutet. Tageszeitungen, wie mein Liebling F.A.Z. sind heute nicht mehr sonderlich aktuell, weil Nachrichten behandelt werden, die gestern schon im Internet zu lesen waren. Die Chance besteht doch darin, aus den doch eher oberflächlichen Internet-Berichten eine hintergründige Print-Berichterstattung zu machen. Das dürfte eine breite und an Informationen interessierte Zielgruppe ansprechen in einer sich immer schneller drehenden Welt.
Mal ein Blick in die Welt der Medien
Quelle: heise.de “Studie: Kein Zusammenhang zwischen Web-Angeboten und Zeitungssterben”
Zwar sinken die Auflagenzahlen der britischen Tageszeitungen weiterhin, doch lasse sich keine direkte Relation zu den Zugriffen auf die Online-Angebote derselben Medien beweisen, behauptet eine neue Studie. Jim Crisholm kommt zu einer These: Erfolgreiche Web-Angebote seien auch auf Papier erfolgreich. Mediengrößen wie Robert Murdoch und Mathias Döpfner polemisieren seit Monaten, die kostenlosen Online-Webangebote von Zeitungen und Zeitschriften würden dazu führen, dass ihre Print-Verbreitung abnehme. Der Erosion der gedruckten Auflagen müsse man mit Gesetzen und kostenpflichtigen Angeboten entgegentreten. Den Worten folgen bereits Taten: Die britische Tageszeitung The Times verlangt seit Mitte des Jahres Geld für den Zugriff auf ihr Online-Informationsangebot; die New York Times will im kommenden Jahr nachziehen. Crisholm hat im Auftrag des “Guardian” die jüngsten gemeldeten Auflagenzahlen britischer Zeitungen analysiert, die dem Audit Bureau of Circulations (ABC) gemeldet wurden. Demnach gingen die Auflagen der Tageszeitungen gegenüber dem Vorjahr um 5,3 Prozent zurück; bei den Sonntagsausgaben betrug der Verlust sogar 6,7 Prozent. Die Online-Zugriffe steigen aber mitnichten in einem vergleichbaren Maßstab – weder auf der Ebene einzelner Zeitungen oder im Blick auf die Gesamtverbreitung.
Ich sehe weiterhin Chancen für Qualitätstageszeitungen. Die dreisäuligen Ökonomisierungsfaktoren aus Vertrieb, Anzeigenschaltung und Stellenmarkt am Beispiel der F.A.Z. sind allerdings überholt. Ich sehe hier eine Notwendigkeit, nicht nur zusätzliche Erlösquellen zu suchen – was nur schwer möglich sein wird -, sondern auch den grundsätzlichen Ansatz zu überdenken. Aber darüber könnte man auch hinlänglich diskutieren.
Beste Grüße
Marcus Reif