Manager werfen die Krawatte in den Schrank, das Hemd bleibt offen, sie tragen Sneakers und Duzen sich auf allen Hierarchieebenen. Das global gebräuchliche Du nimmt Einzug auch in die biedersten Unternehmenskulturen. Hippe Startups duzen ihre Kunden, Ikea macht das schon eine ganze Weile. Distanz schwindet und soll dabei helfen, über notwendige Hierarchien hinwegzusehen.
Ich glaube nicht, dass man eine Kultur oktroyieren kann. Sie muss sich entwickeln. Dafür braucht es top-down natürliche Vorbilder. So gesehen ist es richtig, dass die Unternehmensspitze Akzente setzt. Krawatte und das Sie weglassen sind zumindest beobachtbare Verhalten. Ein Signal. Ein Symbol. Ich bin mir nicht sicher, ob die Zeiten vorbei sind, in denen unterschiedliche Distanz auch durch die Differenzierung Sie oder Du gekennzeichnet waren. Das ist per se nichts Schlechtes. Die Kleiderordnung war und ist eine Frage des Respekts. Sie war und ist auch immer ein Zeichen des Konformismus in der Unternehmenskultur. Ich erinnere noch gut der Zeiten der New-Economy mit dem Casual Friday. Die New-Economy ging mit 9/11 unter und damit auch der Freitag der lockeren Garderobe.
Kultur ist mehr als die Garderobe
Jeans, Sneakers, offenes Hemd und ein Sakko drüber. So sieht man etliche Top-Manager auf den Bühnen. So auch Dieter Zetsche von Daimler, der seinem Konzern ein neues Führungsprinzip verordnete:„Leadership 2020“. Dazu gehören eine andere Feedback-Kultur und Leistungsbewertung, in Fällen, wo es passt, zu agieren wie ein Startup. Die Digitalisierung ist der betitelte Push-Effekt für den Wandel. Doch für was ist der Wandel gut?
Zum einen für Geschwindigkeit. Die Deutschen lieben ihre Böxchen in Org-Charts, wohlklingende Titel, Selbstlob durch den hohen Arbeitseinsatz (Input-Orientierung) und eben Hierarchien. Die neue Kultur, die Daimler, Otto, Vodafone und viele andere Konzerne nun erreichen wollen, hilft, effizienter zu entscheiden, schneller zu reagieren, mehr Verantwortung auf die einzelnen Mitarbeiter zu verteilen. Das Du ist also ein Symbol für die Erwartungen, dass Hierarchien schlanker, mithin sogar überbrückt werden. Das unterstützt eine bessere Zusammenarbeit. Wenn nun die ganze Belegschaft den CEO duzen darf, wie passen dann etliche Hierarchiestufen zwischen dem Facharbeiter und dem CEO hierzu? Bürokratie, Genehmigungsprozesse und Hierarchien müssen ersetzt werden durch Vertrauen und mehr Eigenverantwortung. Ein großer Schritt für einen Konzern und seine Mitarbeiter.
In einem Vortrag vor ein paar Wochen ging die Diskussion um Burnout und Depression. Ich ließ mich hinreißen zu der Aussage, dass in der Wahrnehmung einer schlechten Unternehmenskultur der Burnout das Verwundetenabzeichen der High-Performer ist, die Depression ist für die Low-Performer. Mal von dem Aspekt abgesehen, dass das Burnout-Syndrom eher „kontext-bezogen“ ist, die Ursachen für Burnout häufig berufsbedingt ist, Depressionen hingegen eher „kontext-frei“ entsteht, sind diese beiden Begriffe medizinisch dem gleichen internationalen Diagnoseschlüssel (ICD-10) zugeordnet. Zumindest ist dieses Beispiel hin und wieder zu finden, dass die Interpretation eines Burnouts kulturell anders betrachtet wird als eine Erschöpfungsdepression.
Im Valley exkursieren
Etliche Unternehmen reisen derzeit ins Valley, um sich die Gründerkultur aus der Nähe anzusehen. Und keine Angst, die arbeiten alle nicht mehr in einer Garage. Hier geht es darum, den Zeitgeist moderner Führung und das Leben einer zeitgemäßen Unternehmenskultur einmal live zu erleben. Und meine Lieblingsbeispiele sind Google und Netflix. Während wir Deutschen kaum unsere eigene Aufgabe im Unternehmen in einen Satz fassen können, geschweige denn die Unternehmenskultur, schaffen es Google mit seinem “don’t be evil” oder Netflix’ Verhaltensregel “act in Netflix’ best interest” einfach und präzise auf den Punkt:
Wir brauchen als Mitarbeiter Halt in kulturellen Fragen. Der Spielraum für Abweichungen von der gewünschten Führungs- und Unternehmenskultur, inkl. der Fehlerlernkultur, sollte gering sein. Und da sind Google, Netflix und andere echt gute Beispiele. Linkedin und Microsoft gehören ebenso in diese Aufzählung. Etliche Unternehmensberatungen begehen diesen Weg ebenfalls.
Kultur und Kontrolle? Wie passt das zusammen?
Compliance ist in aller Munde. Unternehmen und Führungskräfte reagieren typisch darauf – mehr Compliance führt zu mehr Kontrolle. Doch wie passt das mit moderner Kultur zusammen? Einer Kultur, die den Mitarbeitern mehr Verantwortung gibt und somit Gestaltungsfreiräume schafft? Fakt ist, wir brauchen wieder eine stärkere Mentalität des ehrbaren Kaufmanns. Das passt aus meiner Sicht deutlich besser zu einer modernen Kultur. Denn wenn jeder einzelne im Unternehmen im besten kaufmännischen Interesse des Unternehmens agiert, weshalb braucht man noch zwei Genehmigungsunterschriften für eine Reise mit dem ICE von München nach Frankfurt?! Dazu müssen wir uns aber zwingend von der technokratisch-bürokratischen Kontrollkultur vieler im Micromanagement verhafteter Führungskräfte verabschieden. Zetsche macht es vor. Und wenn sich Daimler ändern kann, dann können es auch alle anderen!
Beste Grüße
Marcus Reif
“Etliche Unternehmen reisen derzeit ins Valley, um sich die Gründerkultur aus der Nähe anzusehen.”
Und trotzdem werden deutsche Unternehmen scheitern. Nicht weil das Wissen oder die Technologie fehlen würden, sondern weil man schlicht zu blöd ist. Ja genau, zu blöd. Die tüchtige und sparsame schwäbische Hausfrau schafft es leider nicht in größeren Zusammenhängen zu denken und diese auch zu begreifen. Man schaue nur die Reaktionen der deutschen Automobilindustrie als China einen Gesetzentwurf zum Verbot von Verbrennungsmotoren angekündigt hat (Wenn ich eine Quote von 30 Prozent will, kommt das einem Teilverbot gleich). Entsprechende Ansagen aus Norwegen, Indien und den Niederlanden wurden noch weggelächelt. Ebenso der Beschluss des Bundesrats ein Verbot bis 2030 zu fordern.
Zu gleichen Zeit baut ein Mann mit seinen Internetmillionen einen hübschen kleinen Autokonzern auf. Und als man Jahre nach den ersten Gehversuchen das erste richtige Fahrzeug auf den Markt bringt, welches der oberen Mittelklasse Konkurrenz macht, erklärt man dieses Fahrzeug zum Nischenprodukt. Aber was dort wirklich passiert ist, hat niemand verstanden: Jemand mit einer Idee und gut gefüllter Kriegskasse hat diese umgesetzt und räumt nun deren Markt auf. Eine Kohortenanalyse der Tesla Modell 3 Vorbestellungen hat gezeigt dass alleine diese bei BMW, Daimler und Audi rund 128.000 Einheiten kosten werden. Bei rund 3800 Euro Gewinn je Einheit macht das 4.8 Milliarden Euro die in deutschen Kassen fehlen werden.
Sicherlich hat Tesla nach wie vor massive Qualitätsprobleme und die Rechweite ist für den Außendienstler der mehr als 560 Kilometer am Tag zurück legt noch zu gering. Allerdings haben sie etwas, was deutsche Hersteller nicht haben: Menschen, die für ihre Idee brennen.