Marcus K. Reif, Head of Recruiting and Employer Branding EY
“Ich bin seit gut 15 Jahren in der Consulting-Branche. Und was sich wirklich deutlich verändert hat, sind die immer spezifischer werdenden Anforderungen, mit denen unsere Kunden auf uns zukommen. Das hat selbstverständlich Auswirkungen auf die Leute, die wir bei uns brauchen. Klar ist: Der Bedarf an erfahrenen Fachleuten ist dramatisch gestiegen. Im Moment ist das noch handhabbar – aber ob wir ihn in fünf Jahren noch ohne Weiteres decken können, das ist die Frage.
Digitalisierung werden ja anhalten und die Nachfrage nach sogenannten Experienced Hires, also erfahrenen Fachleuten, noch anheizen. Dann könnte es eng werden. Schließlich konkurrieren die Berater nicht nur untereinander um das passende Personal, sondern stehen auch im Wettbewerb mit der Industrie, die ebenfalls Fachleute sucht.
Das bedeutet, dass wir uns schon heute so aufstellen müssen, dass wir
als Arbeitgeber attraktiv sind und es auch bleiben. Denn die Ansprüche der Kandidaten wachsen natürlich mit der Nachfrage. Aktuell profitieren wir noch davon, denn der Ehrgeiz, sich weiterzuentwickeln, hat bei vielen erfahrenen Experten in den Unternehmen deutlich zugenommen. Das ist eine gute Möglichkeit, wechselwillige Kandidaten für uns zu gewinnen und unseren Fachleute-Pool zu vergrößern.
Gesucht sind mittlerweile fast alle Qualifikationen in allen Geschäftsfeldern, die wir bei EY abdecken. Im Bereich Wirtschaftsprüfung stehen wir durch die EU-Audit-Reform, nach der bis zum Jahr 2020 viele Konzerne ihren Prüfer wechseln müssen, vor einer enormen Chance. Für Firmen wie uns, die von dieser Regelung profitieren werden, ist das also ein absolutes Wachstumsfeld. Deshalb wird unser Bedarf an Mitarbeitern in diesem Bereich stark steigen.
Im Steuerberatungsbereich ist das nicht anders: Die deutsche Steuergesetzgebung ist für sich genommen bereits sehr komplex – aber wenn ein Unternehmen auch im Ausland unterwegs ist, wird es ohne externe Hilfe kaum noch zurechtkommen. Auch hier generieren wir mittlerweile Wachstumszahlen, die wir sonst nur aus der Unternehmensberatung kannten. Und dort wachsen wir im Managementbereich genauso wie in der Transaktionsberatung oder im Financial-Services-Bereich. Wir suchen also nicht nur Digitalisierungsexperten, sondern auch andere Profile. Und wenn wir meinen, dass bestimmte Gebiete besonders zukunftsträchtig sind, stellen wir durchaus außerplanmäßig ein.
Um passende Kandidaten für uns zu gewinnen, arbeiten wir intensiv an unserer Führungskultur. Denn wenn es zum Schwur kommen soll, spielen ein paar Tage mehr Urlaub oder ein höheres Gehalt eine untergeordnete Rolle. Gute Leute entscheiden sich nach anderen Kriterien für einen Arbeitsplatz: Aufgabenbereiche und Entwicklungsmöglichkeiten sind wichtig. Aber auch, wie sie sich behandelt fühlen. Dazu gehören ganz simple Dinge: Wie laufen Terminabsprachen, Telefonate, Schriftwechsel? Wie schnell kommen Rückmeldungen? Waren die Gesprächspartner sympathisch? Wie sind sie miteinander umgegangen? Wenn das alles passt, geht es darum, wie hoch der Kandidat die Wahrscheinlichkeit einschätzt, dass das Unternehmen seine Bedürfnisse respektiert.
Wenn es zum Seitenwechsel kommt, also ein Mitarbeiter eines Kunden künftig für uns arbeiten möchte, ist das natürlich immer eine etwas heikle Situation. Wir versuchen sie professionell und partnerschaftlich zu lösen: Sobald wir uns mit dem Kandidaten einig sind, geht einer unserer Partner zusammen mit ihm zum Klienten und bespricht die Lage. In der Regel bleiben keine negativen Gefühle zurück – denn dass jemand den Arbeitgeber wechselt, ist inzwischen an der Tagesordnung. Übrigens auch für uns: Dass manche unserer Kollegen bei unseren Klienten anheuern, gehört zum Geschäft.”
Quelle: Artikel aus brand eins Thema, Ausgabe 5/2016: Stimmen aus der Praxis