Die Urteilsbegründung liegt noch nicht vor, doch alleine die Berichterstattung über das aktuelle Urteil des Europäischen Gerichtshofs treibt die Sorgenfalten auf die Stirn der Arbeitgeber. Aber nicht nur der Arbeitgeber, auch die modernen Arbeitnehmer zweifeln an der Sinnhaftigkeit des Urteils. Arbeitgeber müssen nun dokumentieren, dass sie die Arbeitszeit von maximal 48 Stunden in der Woche und die Pausen von mindestens elf Stunden durchgängig am Tag, einmal in der Woche mindestens 24 Stunden, einhalten.
Kern des Urteils
Alle EU-Staaten müssen Arbeitgeber verpflichten, ein “objektives, verlässliches und zugängliches System” zur Erfassung der von jedem Arbeitnehmer geleisteten täglichen Arbeitszeit einzurichten.
EuGH pocht auf EU-Arbeitnehmerrechte zum Schutz der Gesundheit
Die F.A.Z. titelt: Arbeitgeber müssen Arbeitszeiten systematisch erfassen
Die Süddeutsche: Zeiterfassung – Arbeit hat Grenzen!
Die Welt: Dieses Urteil verspricht Arbeitnehmern die Überstunden-Wende
Wirtschaftswoche: „Es droht ein Bürokratie-Monster“
Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur Arbeitszeiterfassung soll die Gesundheit überarbeiteter Arbeitnehmer schützen, die häufig unbezahlt Überstunden abreißen. Wie es in der Praxis umgesetzt werden soll, ist völlig offen. Die Arbeitgeber haben die letzten Jahre sehr intensiv an einer modernen Kultur gearbeitet. Flexible Arbeitszeitmodelle, das gelegentliche Arbeiten von zu Hause und Vertrauensarbeitszeit charakterisieren dies. Und nun dieses Urteil, was erwarten lässt, dass etliche Errungenschaften rund um New Work wieder zurückgedreht werden.
„Dieser Richterspruch könnte die Axt anlegen an alles, was wir mit Vertrauensarbeitszeit, mit dem Entkoppeln von starren Arbeitszeiten bisher erreicht haben“
Verbandsvizepräsident Rupert Felder, Bundesverband der Arbeitsrechtler in Unternehmen (BVAU)
Mögliche Auswirkungen
Nach diesem Urteil muss man davon ausgehen, dass Arbeitnehmer bei Arbeitsbeginn auf irgendeine Art und Weise ein- und abends wieder ausloggen müssten – oder mindestens ihre Arbeitszeiten selbst aufzeichnen müssten. Durch digitale Angebote, beispielsweise mit einer App, ließe sich das recht praktikabel erledigen. Vermutlich werden viele Unternehmen mangels der technischen Infrastruktur auf die gute alte Stechuhr über gehen. Die Hoffnung ist, dass die Arbeitszeit zum Beispiel per Chipkarte an der Stechuhr erfasst werden kann, per Programm auf dem Laptop oder per App auf dem Smartphone. Das stellt der Gerichtshof offenbar den Mitgliedstaaten frei
Die Betriebs- und Personalräte werden intensiv die Arbeitszeittreue und Überstunden kontrollieren. Die Arbeitgeber werden wie Getriebene hinter den Regulierungsvorschriften her rennen. Ich ging bisher davon aus, dass insbesondere durch den demografischen Wandel und den Arbeitskräftemangel der einzelne Mitarbeiter quasi seine eigene Gewerkschaft und Interessensvertretung wurde. Kündigung und die Fluktuationsraten trieben die Entwicklung hin zu dieser These.
Mitten im Trend zu New Work und der Arbeitswelt 4.0 reagiert der Gesetzgeber mit einer Arbeitszeiterfassung 1.0
Das wird eine Menge Arbeit werden!
Beste Grüße
Ihr Marcus Reif