Die These des Gastbeitrags in der WirtschaftsWoche ist klar und bewusst provokant: Die Personalabteilung sei überholt. Stattdessen sollen Führungskräfte selbst zu Allroundern werden – unterstützt von Künstlicher Intelligenz, flankiert von einem „Chief People and Digital Technology Officer“. Das Ziel: Automatisierung, Effizienz, Ownership. Ein netter Gedanke – und doch ein gefährlicher Irrweg.
„No HR“ – der neueste Management-Modebegriff. Er klingt verführerisch, progressiv, digital. Doch was bleibt übrig, wenn wir HR abschaffen? Ein Missverständnis. Und ein Risiko.
HR ist nicht das Problem – sondern Teil der Lösung
Kritik an der HR gibt es seit Jahrzehnten: zu langsam, zu wenig business-orientiert, zu viele Prozesse, zu wenig Wirkung. Manche Vorwürfe sind berechtigt. Doch aus Kritik die Abschaffung der gesamten Funktion abzuleiten, ist eine unzulässige Vereinfachung.
Wer Personalabteilungen für überflüssig erklärt, weil manche von ihnen noch im Jahr 2005 leben, hat den Wandel in der modernen HR-Funktion schlicht nicht mitvollzogen. Heute sind People & Culture-Teams datengetrieben, technologieoffen, agil aufgestellt – oder zumindest auf dem Weg dorthin.
Automatisierung ersetzt keine Verantwortung
Natürlich ist es sinnvoll, administrative Aufgaben zu automatisieren: Zeugnisse, Verträge, Reports – das alles kann und sollte KI übernehmen. Aber gute Personalarbeit besteht nicht aus Routine. Sie besteht aus Beziehung, Kontext, Haltung, Einfühlungsvermögen und organisationalem Verständnis.
Onboarding, Entwicklung, Nachfolgeplanung, kulturelle Transformation – das alles sind keine Tasks, sondern komplexe, nichtlineare Prozesse. Sie brauchen Dialog, Fingerspitzengefühl und strategische Einordnung. Genau dafür ist HR da. Und das kann auch die beste KI nicht leisten.
Führung ist schon heute überfordert – und soll jetzt alles übernehmen?
Ein zentraler Punkt des „No HR“-Ansatzes ist die Rückverlagerung aller relevanten People-Themen an die Führungskräfte. Die Idee: Manager*innen sind künftig Recruiter, Onboarder, Culture Builder, Learning Experts, Change Agents, DEI-Verantwortliche und HRBP in Personalunion.
Diese Vorstellung klingt gut auf dem Whiteboard – scheitert aber in der Realität oft an Ressourcen, Kompetenz und Priorität. Viele Führungskräfte sind heute bereits an der Belastungsgrenze. Die Annahme, dass sie ohne qualifizierte HR-Begleitung bessere Personalentscheidungen treffen, ist – mit Verlaub – naiv.
HR ist kein Dienstleister – sondern ein strategischer Enabler
Die besten HR-Abteilungen agieren heute als Co-Piloten der Geschäftsstrategie. Sie gestalten Organisationen, steuern den Kulturwandel, sichern Talente, antizipieren demografische Entwicklungen und befähigen Führung. Sie sind nicht Serviceeinheit, sondern Value Creator.
Gerade in Zeiten von Transformation, Digitalisierung, Diversität und Fachkräftemangel braucht es HR – nicht als Bürokratie, sondern als Impulsgeberin. Und ja, das bedeutet auch, HR radikal neu zu denken: technologisch, strategisch, menschenzentriert. Aber nicht abzuschaffen.
„No HR“ ist ein Etikettenschwindel
Das Beispiel Moderna wird im Beitrag als Vorbild genannt: HR wird dort mit der IT fusioniert, geleitet von einer früheren CHRO. Doch was sagt uns das wirklich? Nicht: HR ist verschwunden. Sondern: HR bleibt – aber in neuer Aufstellung, mit digitalem Fokus und integrativem Anspruch.
Man könnte es auch anders sagen: Das ist nicht „No HR“. Das ist „Next HR“.
Fazit: Die Zukunft braucht HR – mehr denn je
Wenn wir die Herausforderungen der Arbeitswelt von morgen wirklich lösen wollen – hybride Arbeitsmodelle, Wertewandel, mentale Gesundheit, KI-Einsatz, Arbeitskräftemangel – dann brauchen wir dafür nicht weniger HR, sondern bessere HR.
Eine HR, die sich verändert. Eine HR, die mit Technologie verschmilzt. Eine HR, die ihre Rolle neu definiert.
Aber keine HR? Nein danke.
Nein, HR ist aus meiner Sicht zu oft ein möchtegern „Strategic Enabler“, genauso wie viele HR Top Voices völlig zu unrecht auf LinkedIn für jedes Selfie abgefeiert werden, als ob sie HR neu erfunden hätten. Ist nicht böse gemeint :-) aber was HR auf LinkedIn in Teilen abzieht, ist mehr Aktivismus und Politik und weniger HR Arbeit. Mehr HR in die Fachbereiche halte ich für eine sehr gute Idee. Keep it simple dazu braucht es aber den Mut, sinnfreie Prozesse zu eliminieren.