Die Personalabteilung steht wieder einmal im Zentrum eines tiefgreifenden Wandels – diesmal durch die rasante Entwicklung der künstlichen Intelligenz. Es ist nicht das erste Mal, dass wir uns neu erfinden müssen. Schon vor zwei Jahrzehnten war unsere Disziplin unter Beschuss, als transaktionale Aufgaben in Shared-Service-Center ausgelagert und dort zentralisiert wurden. Heute sind wir an einem ähnlichen Punkt angekommen. Wieder geht es um Effizienz, Skalierung und Standardisierung – aber mit ganz anderen technologischen Mitteln.
Eine aktuelle Studie zeigt, dass HR-Teams bis zu 57 % ihrer Zeit mit repetitiven, administrativen Tätigkeiten verbringen, die künftig problemlos von KI übernommen werden könnten. Die Konsequenz: Wer sich heute nicht verändert, wird morgen obsolet. Ich hörte mal in den Beratungen eine Aussage – sicherlich schon 20 Jahre her –, dass transaktionale Aufgaben, die in vier Wochen erlernt werden können, zukünftig in Shared-Service-Centern ausgelagert werden. Gleiche Beschreibung gilt sicherlich auch heute in ähnlichem Maße für die KI.
Zerbrochene erste Sprosse der Karriereleiter
“Generative KI könnte Einsteigerjobs in großem Stil ausradieren”, fürchtet Anthropic-Chef Dario Amodei in einem Artikel in der F.A.Z. Wesentlich finde ich seine These, die auch andere Tech-Konzerne mit Studien untermauern, dass die künstliche Intelligenz bei fast allen intellektuellen Aufgaben besser sein wird als der Mensch. Er ist überzeugt, dass KI-Tools in den kommenden fünf Jahren die Hälfte der Arbeitsplätze auf der Einstiegsebene ersetzen und die Arbeitslosigkeit auf bis zu 20 Prozent ansteigen lassen wird. Das ist die zerbrochene erste Sprosse der Karriereleiter.

Doch anders als viele Schlagzeilen suggerieren, geht es hier nicht um Cyborgs oder eine romantisierte Mensch-Maschine-Symbiose. Es geht um eine kluge, pragmatische Nutzung der Technologie – dort, wo sie heute schon echten Mehrwert bietet. Und das tut sie. Ohne Sci-Fi. Ohne Hype. Der Mensch trainiert, kontrolliert und überwacht. Routinetätigkeiten übernimmt in Teilen oder sogar vollständig automatisiert die KI.
Wo Künstliche Intelligenz heute schon in HR wirkt
1. Recruiting und Talent-Acquisition
Die wohl sichtbarste Veränderung erleben wir im Recruiting. KI-gestützte Tools können Lebensläufe analysieren, Matching-Algorithmen nutzen und sogar Videointerviews auswerten – nicht, um Entscheidungen zu treffen, sondern um Menschen im Entscheidungsprozess zu unterstützen. Die Time-to-Hire verkürzt sich, die Candidate Experience verbessert sich, und die Passgenauigkeit der Auswahl steigt.
2. Learning & Development
Personalisierte Lernpfade sind keine Zukunftsmusik mehr. KI hilft heute schon dabei, individuelle Entwicklungspotenziale zu erkennen und passende Lerninhalte vorzuschlagen – abgestimmt auf Rolle, Karrierepfad und individuelle Interessen. Learning wird damit effizienter, relevanter und wirksamer.
3. Mitarbeiterbindung & Experience-Management
Durch die Analyse von Mitarbeiterfeedback in Echtzeit – etwa aus Pulsbefragungen oder anonymisierten Kommentaren – können Stimmungen frühzeitig erkannt werden. KI kann dabei helfen, Kündigungsrisiken zu identifizieren und präventive Maßnahmen vorzuschlagen. Auch hier bleibt die Entscheidung menschlich, aber das Frühwarnsystem wird intelligenter.
4. Administrative Prozesse & HR-Operations
Ob Spesenabrechnungen, Urlaubsanträge oder Vertragsverwaltung – Chatbots und Automatisierungen sind längst im Einsatz. Sie entlasten HR-Teams von Routinearbeit und schaffen Raum für das, was wirklich zählt: strategische Personalarbeit.
Jenseits der Modelle – worauf es wirklich ankommt
Die Diskussion über die passenden KI-Modelle ist intellektuell reizvoll. Aber sie greift oft zu kurz. Es geht nicht darum, sich für eines zu entscheiden, sondern vielmehr darum, HR neu zu denken: als funktionale Einheit, die sich vom Administrator zum Gestalter der Employee Experience entwickelt. Dazu braucht es neue Rollen – etwa den Organizational Intelligence Director, der kollektive Muster erkennt und daraus Veränderungsprozesse ableitet. Oder den Chief Experience Officer, der sich um eine konsistente und positive Mitarbeiterreise kümmert – vom Onboarding bis zum Exit.
Fazit: Technologie ersetzt keine Haltung
Künstliche Intelligenz wird unsere Arbeit verändern. Aber sie ersetzt nicht unsere Verantwortung, keine Haltung, keine Empathie. Sie ist ein Werkzeug – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Die Personalabteilung der Zukunft wird hybrid denken, datenbasiert handeln und trotzdem zutiefst menschlich bleiben. Das ist kein Widerspruch. Das ist der nächste Schritt. Wer also heute in KI investiert, investiert nicht in Maschinen, sondern in Relevanz.
Viel Erfolg bei Ihrer Arbeit. Sie ist so wichtig.
Mit meinen besten Grüßen
Ihr Marcus K. Reif