Das Recruiting-Dilemma ist ja, dass wir oftmals innengerichtet agieren. Fachbereiche investieren zu wenig in gute Führung und moderne Kultur, kaum Flexibilität von Arbeitszeit und Arbeitsort. Und das drückt Fluktuation nach oben. Die Auswirkung aus der Fluktuation wird intern direkt ans Recruiting durchgereicht. Umgehend ist nun dafür zu sorgen, dass ein adäquater, gleich kompetenter und rasch verfügbarer neuer Kollege gefunden wird. Das löst in Summe einen Prozess aus, bei dem es darum geht, viele Bewerbungen zu generieren. Recruiter stehen knietief im operativen Prozess und beschäftigen sich in vielen Stunden des Tages mit dem Screening eingegangener Bewerbungen. Selbst das Active Sourcing als wirkungsvolles Instrument bleibt stiefmütterlich im Werkzeugkasten. “Keine Zeit” ist allenthalben zu hören. Und deshalb bleibt die Wahrnehmung, dass die Arbeit der Recruiter oft ineffizient, teuer und fehlerhaft ist. Unser Fokus liegt zu sehr auf Prozessen und nicht auf Kandidaten.
Doch das eigentliche Dilemma geht tiefer. Wir behandeln Recruiting noch immer wie einen Reparaturbetrieb. Irgendwo bricht eine Stelle weg – also muss sie schnell ersetzt werden. Wir sind zum Ausgleich von Fluktuation da? Doch statt innezuhalten und zu fragen, warum diese Stelle frei wurde, starten wir hektisch den Wiederbesetzungsprozess. Wir lösen Symptome, nicht Ursachen.
Recruiting ist kein Ersatzteilhandel
Wenn Unternehmen ihre Talente wie austauschbare Bauteile behandeln, verlieren sie an Attraktivität. Kandidaten merken schnell, ob ein Unternehmen sie als Mensch oder nur als Mittel zum Zweck sieht. Und genau hier liegt die Chance: Weg von der Austauschlogik, hin zu echter Beziehungspflege. Wer im Recruiting langfristig denkt, erkennt: Kandidaten sind keine Leads, sondern Menschen mit Erwartungen, Biografien und Ambitionen.
Kultur frisst Strategie – und Recruiting gleich mit
So lange Unternehmen keine moderne, menschenzentrierte Arbeitskultur schaffen, bleibt Recruiting ein Kampf gegen Windmühlen. Flexible Arbeitszeitmodelle, Vertrauen, Sinnorientierung, Führung auf Augenhöhe – das sind heute keine Extras mehr, sondern Basisanforderungen. Wer das ignoriert, wird selbst mit den besten Recruitern und dem größten Budget keine nachhaltigen Erfolge erzielen.
Weniger Prozess, mehr Beziehung
Der Blick muss sich wenden: Weg vom Prozessdenken, hin zur Kandidatenorientierung. Das bedeutet auch: weniger KPI-Getriebenheit, mehr Qualität im Kontakt. Statt 300 Bewerbungen zu sichten, von denen 290 nicht passen, sollten wir lernen, zehn passende Profile aktiv anzusprechen – und dabei die Geschichte hinter dem Lebenslauf zu erkennen.
Recruiting neu denken heißt: Zusammenarbeit neu denken
Recruiting ist keine Aufgabe der HR-Abteilung allein. Es ist ein gemeinsamer Prozess von Fachbereich, Führung und People Management. Die besten Talente gewinnt nicht der mit dem schnellsten ATS-System, sondern der, der ehrlich kommuniziert, echte Entwicklungsperspektiven bietet und eine Kultur lebt, die Menschen anspricht – und auch hält.
Fazit: Vom Reparieren zum Gestalten
Das Recruiting-Dilemma ist letztlich ein Kulturproblem. Wer Recruiting als strategischen Hebel begreift und nicht als operativen Reparaturdienst, wird anders priorisieren: mehr Zeit für Beziehungspflege, mehr Raum für Active Sourcing, mehr Klarheit in der Zusammenarbeit mit den Fachbereichen. So wird Recruiting wieder zu dem, was es sein sollte: ein Gestaltungsinstrument für Zukunft.
Viel Erfolg bei Ihrer Arbeit. Sie ist so wichtig.
Mit meinen besten Grüßen
Ihr Marcus K. Reif