Persönlichkeitstests erfreuen sich großer Beliebtheit – sowohl im privaten Bereich als auch im beruflichen Kontext, etwa im Recruiting, in der Personalentwicklung oder im Coaching. Sie versprechen Einblicke in individuelle Stärken, Schwächen und Verhaltensmuster. Doch wie belastbar sind diese Erkenntnisse? Und worin unterscheiden sich die gängigen Verfahren?
Gerne möchte ich auch auf einen Weggefährten in unserer HR-Familie hinweisen: Harald Ackerschott, einer der Köpfe hinter den Grundschritten der Eignungsdiagnostik nach DIN 33430 (Anforderungen an berufsbezogene Eignungsdiagnostik). Wer sich mit dem Thema befassen möchte, dem empfehle ich gerne diese Podcast-Folge:
Persönlichkeitstests im Überblick
Im Folgenden ein Überblick über bekannte Modelle – vom populärwissenschaftlichen Klassiker bis hin zu fundierten wissenschaftlichen Instrumenten. Natürlich gibt es etliche Modelle und noch weitere gute Tools mehr. Ich habe mit diesem Beitrag nicht den Anspruch, eine maximale Markttransparenz herzustellen. Es dient eher einer ersten Orientierung für Ihre Personalarbeit. Legen wir los:
MBTI – beliebt, aber wenig belastbar
Der Myers-Briggs-Typenindikator (MBTI) ist vermutlich der bekannteste Persönlichkeitstest weltweit. Er basiert auf den Theorien von Carl Gustav Jung und wurde in den 1940er Jahren von Isabel Briggs Myers und Katharine Cook Briggs entwickelt. Der MBTI teilt Menschen in 16 Persönlichkeitstypen ein, basierend auf vier Dichotomien (z. B. extravertiert vs. introvertiert).
Trotz seiner Popularität – insbesondere in Unternehmen und Karriereportalen – steht der MBTI in der Fachwelt massiv in der Kritik. Hauptgründe sind die mangelnde Reliabilität (Wiederholbarkeit der Ergebnisse) und die fehlende wissenschaftliche Validität. Zudem fördern die sehr typisierten Auswertungen den sogenannten Barnum-Effekt – also die Tendenz, vage und allgemeine Aussagen als zutreffend zu empfinden.
Fazit: Unterhaltsam und intuitiv zugänglich, aber für seriöse Entscheidungen im Personalbereich nicht geeignet.
SHL OPQ32 – Diagnostische Tiefe auf hohem Niveau
Das Occupational Personality Questionnaire (OPQ32) von SHL ist eines der weltweit am weitesten verbreiteten Instrumente zur berufsbezogenen Persönlichkeitsmessung. Mit 32 differenzierten Skalen deckt es ein breites Spektrum relevanter Verhaltensdimensionen ab – von Teamverhalten über Führungsstil bis hin zu Arbeitspräferenzen.
Im Auswahlkontext bietet der OPQ32 hohe Validität, Normierung und Vergleichbarkeit. Er wird häufig in Kombination mit Fähigkeitstests oder Situational Judgement Tests eingesetzt – besonders im Leadership-Recruiting oder in großvolumigen Auswahlprozessen.
In der Personalentwicklung wird das Instrument eher strukturiert und datenbasiert eingesetzt, etwa für Feedbackgespräche oder Potenzialanalysen. Für dialogorientierte Formate oder niedrigschwellige Coachings ist der OPQ weniger geeignet als narrative Modelle.
Fazit: Professionelles Diagnostik-Tool mit hoher Aussagekraft für die Personalauswahl. Eingeschränkt einsetzbar für Entwicklungsprozesse.
DISG – Praxisnah, aber vereinfachend
Das DISG-Modell (Dominant, Initiativ, Stetig, Gewissenhaft) ist vor allem im deutschsprachigen Raum sehr verbreitet. Es kategorisiert Menschen anhand von vier Verhaltensdimensionen und liefert ein einfaches Raster zur Einordnung von Persönlichkeitsmerkmalen. Aufgrund seiner leichten Verständlichkeit wird DISG häufig in Trainings, Coachings und Teamentwicklungsprozessen eingesetzt.
Allerdings gilt auch hier: Die Reduktion auf vier Farbtypen greift in der Tiefe zu kurz und lässt wenig Raum für individuelle Differenzierung. Die wissenschaftliche Basis ist überschaubar, ebenso wie die Aussagekraft über langfristige Verhaltensmuster oder Eignung im beruflichen Kontext.
Fazit: Für den schnellen Einstieg oder die Kommunikation im Team hilfreich, aber kein valides Diagnoseinstrument.
Big Five – Der Goldstandard in der Persönlichkeitspsychologie
Das Fünf-Faktoren-Modell (Big Five) gilt als das aktuell anerkannteste wissenschaftliche Modell zur Beschreibung von Persönlichkeit. Es misst fünf grundlegende Dimensionen:
- Extraversion – soziale Energie, Geselligkeit
- Gewissenhaftigkeit – Zielstrebigkeit, Organisation
- Offenheit für Erfahrungen – Neugier, Kreativität
- Verträglichkeit – Empathie, Kooperation
- Neurotizismus – emotionale Stabilität
Diese fünf Dimensionen sind empirisch gut erforscht und gelten als stabil über die Zeit. Sie erlauben differenzierte Aussagen über Persönlichkeit und sind valide Prädiktoren für Berufserfolg, Führungspotenzial oder Stressresilienz. Der bekannteste Test in diesem Feld ist der NEO-PI-R.
Fazit: Wissenschaftlich fundiert und im HR-Kontext hochrelevant. Empfehlenswert für fundierte Diagnostik und Entwicklung.
BIP – berufsbezogene Diagnostik auf hohem Niveau
Das Bochumer Inventar zur berufsbezogenen Persönlichkeitsbeschreibung (BIP) wurde speziell für den Einsatz im Arbeitskontext entwickelt. Es erfasst 17 Skalen, gegliedert in vier Bereiche: Berufliche Orientierung, Arbeitsverhalten, soziale Kompetenzen und psychische Konstitution. Mit über 200 Items ist das BIP eines der differenziertesten Instrumente im deutschsprachigen Raum.
Das Verfahren ist zuverlässig, validiert und wird sowohl im Recruiting als auch in der Führungskräfteentwicklung und im Coaching eingesetzt. Es liefert ein präzises, mehrdimensionales Bild und eignet sich besonders für fundierte Potenzialanalysen.
Fazit: Ein professionelles Tool mit hoher Aussagekraft – besonders geeignet für Managementdiagnostik und Personalentwicklung.
Insights MDI – Farbenfrohe Typologie mit begrenzter Tiefe
Insights MDI (Management Development Instruments) ist ein weiteres populäres Persönlichkeitsmodell, das stark visuell arbeitet – insbesondere mit den vier Farbtypen Rot, Gelb, Grün und Blau, ähnlich dem DISG. Entwickelt wurde es in den 1990er Jahren und basiert ebenfalls lose auf Jungs Typentheorie. Im Mittelpunkt steht die Analyse von Verhalten, Motivation und emotionaler Intelligenz – meist im beruflichen Kontext.
Der Reiz von Insights MDI liegt in seiner Eingängigkeit: Die Farbtypen lassen sich leicht kommunizieren und in Trainings einsetzen. Dennoch ist die wissenschaftliche Fundierung begrenzt. Die verwendeten Konstrukte und Skalen sind nicht immer transparent dokumentiert, die Validität wird in der Fachwelt kritisch gesehen.
Fazit: Als Kommunikations- und Trainingsinstrument brauchbar, für fundierte Personalentscheidungen aber nur eingeschränkt zu empfehlen.
Social Styles – Kommunikationstypen im Fokus
Das Social Styles Model wurde in den 1960er-Jahren von Merrill & Reid entwickelt und unterscheidet vier grundlegende Kommunikationstypen: Driver, Expressive, Amiable und Analytical. Im Mittelpunkt steht dabei nicht die Persönlichkeit „im Inneren“, sondern das beobachtbare Verhalten im Umgang mit anderen – insbesondere im beruflichen Kontext. Zwei Dimensionen sind zentral: Durchsetzungsstärke und soziale Reaktionsfähigkeit.
Das Modell ist einfach zu verstehen und wird in der Praxis häufig zur Verbesserung von Kommunikation, Konfliktverhalten und Teamarbeit eingesetzt. Die wissenschaftliche Fundierung ist überschaubar, aber die praktische Anwendbarkeit hat das Modell weit verbreitet – insbesondere in Führungstrainings und im Vertrieb.
Fazit: Ein praxisorientiertes Kommunikationsmodell mit klarem Nutzen für Soft-Skill-Themen – aber kein klassischer Persönlichkeitstest.
Abschließende Einschätzung
Persönlichkeitstests können wertvolle Impulse geben – sei es für die Selbsterkenntnis, im Coaching oder zur Ergänzung im Auswahlprozess. Entscheidend ist jedoch, auf fundierte und wissenschaftlich validierte Verfahren zurückzugreifen, insbesondere wenn es um Personalentscheidungen geht. Während Tests wie MBTI oder DISG eher illustrativen Charakter haben, bieten Instrumente wie das Big-Five-Modell oder das BIP echte Mehrwerte – wenn sie professionell eingesetzt und sauber interpretiert werden. Bei schlecht konstruierten Persönlichkeitstests besteht das Problem, dass Probanden die Fragen durchschauen und die Ereignisse manipulieren können. So lassen Fragen bisweilen erkennen, auf welche Charaktereigenschaften ihre Beantwortung schließen soll und welche davon für die zu vergebende Position positiv bewertet werden.
Aus professioneller Sicht – insbesondere im HR-Kontext – lassen sich Persönlichkeitstests gut danach unterscheiden, ob sie eher für Personalauswahl oder für Personalentwicklung geeignet sind. Die Anforderungen in beiden Bereichen unterscheiden sich: Bei der Auswahl stehen Objektivität, Vergleichbarkeit und Prognosekraft im Vordergrund. In der Entwicklung geht es stärker um Selbstreflexion, Potenzialentfaltung und Dialogimpulse.

Für die Personalauswahl geeignet:
1. Big Five/NEO-PI-R/SHL
- Warum? Hohe Validität und gute Prognosekraft für Berufserfolg, Teamverhalten und Stressresistenz.
- Vorteil: Wissenschaftlich fundiert, objektiv, differenziert.
- Einsatz: Führungspositionen, anspruchsvolle Fachrollen, Assessment Center.
2. BIP (Bochumer Inventar zur berufsbezogenen Persönlichkeitsbeschreibung)
- Warum? Speziell für den Arbeitskontext entwickelt.
- Vorteil: Direkter Bezug zu beruflichem Verhalten (z. B. Teamorientierung, Belastbarkeit).
- Einsatz: Potenzialanalysen, Management-Diagnostik, Eignungsdiagnostik.
3. Hogrefe TOP/EOS (falls verfügbar)
- Warum? Berufseignungstests, die valide und normiert sind.
- Einsatz: Strukturierte Auswahlverfahren, oft in Kombination mit kognitiven Tests.
Für die Personalentwicklung geeignet:
1. Big Five
- Warum? Auch hier sehr gut geeignet für Selbstreflexion und Entwicklungsgespräche.
- Einsatz: Coaching, Führungskräfteentwicklung, Karriereberatung.
2. BIP
- Warum? Gibt differenzierte Hinweise auf Entwicklungsfelder im Arbeitsverhalten.
- Einsatz: Feedback-Prozesse, PE-Programme, Führungskräfteentwicklung.
3. Insights MDI/DISG/Social Styles
- Warum? Leicht verständlich, fördern Selbstreflexion und Dialog.
- Vorteil: Geringe Einstiegshürde, fördert Teamentwicklung.
- Einsatz: Kommunikationstrainings, Teamentwicklung, Coaching.
Wichtig: Diese Tests sind nicht valide genug für Auswahlentscheidungen, aber sehr hilfreich für das „Gespräch auf Augenhöhe“ in Entwicklungsprozessen.
Nicht geeignet für Personalauswahl:
- MBTI, DISG, Insights MDI, Social Styles
- Begründung: Zu geringe Reliabilität und Validität, keine normierten Vergleichswerte, keine Eignungsdiagnostik im engeren Sinn.
Leitfaden: Persönlichkeitstests professionell nutzen
Persönlichkeitstests können ein hilfreiches Instrument sein – aber nur, wenn sie sinnvoll ausgewählt und verantwortungsvoll eingesetzt werden. Diese Checkliste hilft bei der Orientierung:
1. Ziel klären
Bevor ein Test eingesetzt wird, sollte klar sein, wofür er genutzt wird:
- Selbstreflexion oder Teamentwicklung?
- Potenzialanalyse oder Auswahlentscheidung?
- Kommunikation oder Persönlichkeitsentwicklung?
Nicht jeder Test ist für jeden Zweck geeignet.
2. Wissenschaftlichkeit prüfen
Ein seriöser Persönlichkeitstest sollte folgende Kriterien erfüllen:
- Validität: Misst der Test, was er vorgibt zu messen?
- Reliabilität: Liefert er bei Wiederholung ähnliche Ergebnisse?
- Transparenz: Ist die Methodik nachvollziehbar dokumentiert?
Tests wie Big Five oder BIP erfüllen diese Standards. MBTI oder DISG eher nicht.
3. Kontext beachten
Der Test muss zum beruflichen Umfeld und zur Zielgruppe passen:
- Führungskräfte → tiefere Verfahren wie BIP oder Big Five
- Teamwork & Kommunikation → Modelle wie Social Styles oder Insights MDI
- Trainings & Workshops → verständliche, zugängliche Tools (z. B. DISG)
4. Interpretation durch Profis
Testergebnisse sollten nicht isoliert betrachtet werden:
- Immer in Kombination mit Interviews, Beobachtungen oder Feedback verwenden
- Fachkundige Interpretation durch Psychologen oder HR-Profis
- Keine Schubladendenke oder finale Urteile
5. Datenschutz & Ethik sicherstellen
Besonders im Unternehmen ist darauf zu achten:
- Freiwilligkeit der Teilnahme
- Vertraulichkeit der Ergebnisse
- Keine Diskriminierung auf Basis von Persönlichkeit
Fazit
Persönlichkeitstests sind kein Ersatz für Menschenkenntnis – aber sie können wertvolle Impulse liefern, wenn sie zielgerichtet, fundiert und verantwortungsvoll eingesetzt werden. Für die Personalauswahl eignen sich nur valide und normierte Verfahren wie Big Five, BIP oder SHL OPQ32, die tatsächlich prognostische Relevanz haben. Im Bereich der Personalentwicklung können auch einfachere Modelle wie DISG, Insights MDI oder Social Styles sinnvoll sein – insbesondere zur Selbstreflexion, zur Förderung von Kommunikation oder im Coaching.
Entscheidend ist der kontextbezogene Einsatz: Nicht der Test macht den Unterschied, sondern der professionelle Umgang damit – inklusive Interpretation, ethischem Rahmen und Einbindung in ein ganzheitliches Talentmanagement. Wer Persönlichkeit ernsthaft verstehen will, braucht mehr als nur vier Farben oder Buchstaben – er braucht Tiefgang, Augenmaß und methodische Sorgfalt.
Viel Erfolg bei Ihrer Arbeit. Sie ist so wichtig.
Mit meinen besten Grüßen
Ihr Marcus K. Reif









