Warum Unternehmen wieder stärker auf persönliche Interviews setzen
Die Pandemie hat die Recruiting-Welt auf den Kopf gestellt. Innerhalb kürzester Zeit wurden persönliche Vorstellungsgespräche durch Videocalls ersetzt. Später kamen KI-gestützte Tools dazu, die Interviewer:innen während des Gesprächs mit Fragen versorgten. Heute nutzen wiederum viele Bewerber:innen KI, um sich optimal vorzubereiten oder sogar Antworten zu generieren.
Das führt zu einer spannenden Frage:
Wenn alle KI einsetzen – Arbeitgeber und Kandidaten gleichermaßen – wie erkennen wir dann noch, was ein Mensch wirklich kann? Oder ist das gar nicht entscheidend, solange die Ergebnisse stimmen?
Fakt ist: Einige Unternehmen drehen das Rad zurück und laden wieder vermehrt zu klassischen Präsenz-Interviews ein. Google, Deloitte und andere folgen bereits diesem Trend.
3 Gründe für das Comeback persönlicher Interviews
1. KI und Betrugsrisiken
Rund 80 % der Motivation für den „Back to Office“-Trend liegen in der Sorge vor Identitäts- und Bewerberbetrug. KI-gestützte Täuschungen sind ein reales Risiko geworden, und Unternehmen möchten sicherstellen, dass die Person, die im Prozess überzeugt, auch tatsächlich diejenige ist, die später den Job ausführt.
2. Realistischer Job-Einblick
Etwa 15 % der Motivation hängt mit dem allgemeinen Trend zurück ins Büro zusammen. Bewerber:innen sollen den Arbeitsplatz, die Kolleg:innen und die Unternehmenskultur live erleben. Präsenzgespräche schaffen mehr Nähe und helfen, Kandidaten nicht nur zu bewerten, sondern auch gezielt für das Unternehmen zu begeistern.
3. Soft Skills im Fokus
Die restlichen 5 % der Motivation sind Überzeugungen, dass Soft Skills und intrinsische Motivation besser im direkten Gespräch erkennbar seien. Auch wenn viele Interviewer:innen in der Praxis Schwierigkeiten haben, diese fair zu beurteilen, bleibt die persönliche Begegnung ein Mittel, um jenseits des Fachwissens Eindrücke zu sammeln.
Chancen und Risiken von Präsenzinterviews
Natürlich hat das persönliche Gespräch Vorteile: ein authentischer Einblick, mehr Nähe, bessere Interaktion. Auf der anderen Seite ist es logistisch aufwändiger, langsamer und nicht automatisch fairer oder treffsicherer.
Zudem haben sich die Rahmenbedingungen seit 2020 nicht verbessert:
- Recruiting-Teams sind durch Sparprogramme geschrumpft,
- Kandidaten berichten von schlechterer Candidate Experience,
- Interview-Kompetenzen wurden vielerorts vernachlässigt.
Was Unternehmen jetzt tun sollten
Wenn Organisationen Präsenzgespräche wieder zum Standard machen wollen, müssen sie investieren – nicht zurück in alte Routinen, sondern in moderne Strukturen. Dazu gehören:
- Training für Interviewer:innen – nicht nur klassisch, sondern mit Blick auf neue Anforderungen, Soft Skills, KI-Einflüsse und faire Entscheidungsprozesse.
- Candidate Experience aktiv gestalten – vom freundlichen Empfang bis zur klaren Kommunikation über nächste Schritte.
- Effiziente Terminplanung – Geschwindigkeit bleibt entscheidend, auch wenn mehr Logistik notwendig wird.
- Identität absichern – klare Prozesse gegen Identitätsbetrug.
- Recruiter:innen als Talent Advisors stärken – weg von Administration, hin zur echten Beratung der Fachbereiche.
- KI bewusst einsetzen – zur Unterstützung, nicht als Ersatz für menschliche Bewertung.
Ein kritisches Gespräch für HR
Recruiting-Teams haben sich zu lange aus der Mitte des Funnels – Interview und Auswahl – zurückgezogen. Angesichts von KI, Betrugsrisiken und den hohen Kosten von Fehlentscheidungen braucht es hier wieder Führung durch HR.
Die zentrale Frage lautet: Wie wollen wir Interviews in Zukunft gestalten – remote, hybrid oder wieder verstärkt in Präsenz?
Meine Einschätzung: Für Schlüsselpositionen und in sensiblen Rollen wird sich das persönliche Gespräch wieder stärker durchsetzen. Im Massen-Recruiting dagegen werden KI und automatisierte Prozesse weiter dominieren.
Wie sieht es in deinem Unternehmen aus? Gibt es bei dir bereits eine Rückkehr zu Präsenzgesprächen – oder bleibt ihr digital? Ich freue mich über Erfahrungen und Meinungen, gerne auch direkt bei mir auf LinkedIn.
Viel Erfolg bei Ihrer Arbeit. Sie ist so wichtig.
Mit meinen besten Grüßen
Ihr Marcus K. Reif