Es gibt ein Phänomen, das viele Personalverantwortliche in Deutschland noch mit Skepsis betrachten: den sogenannten Jobhopper. Menschen also, die in relativ kurzen Abständen den Arbeitgeber wechseln. Drei Jahre hier, zwei Jahre dort – und schon türmt sich ein Lebenslauf auf, der manchen Personalern Schweißperlen auf die Stirn treibt. Doch ist diese Skepsis überhaupt noch zeitgemäß?
Der Lebenslauf als Linie oder Mosaik?
Früher galt: Wer zu oft wechselt, ist instabil, unentschlossen oder illoyal. Eine lange Betriebszugehörigkeit – idealerweise im zweistelligen Jahresbereich – war ein Qualitätsmerkmal. Heute ist das Bild differenzierter.
Eine Studie von Gallup Deutschland (2024) zeigt: Nur 16 % der Beschäftigten fühlen sich ihrem Arbeitgeber stark emotional verbunden – bei den unter 35-Jährigen sogar noch weniger. Die Wechselbereitschaft ist hoch. Arbeitgeber müssen sich fragen, ob sie mit den Maßstäben der Vergangenheit auf die Talente von heute blicken.
Die Argumente gegen häufige Jobwechsel
Natürlich gibt es valide Bedenken. Wer alle ein bis zwei Jahre das Unternehmen verlässt, sendet auch Signale aus:
- Geringe Bindungsbereitschaft
Unternehmen investieren in Einarbeitung, Weiterbildung und Integration. Wer schnell geht, lässt diese Investitionen ungenutzt.
„Manche verlassen ein Unternehmen, bevor sie überhaupt angekommen sind.“ – Unbekannt
- Wenig Tiefgang
Fachlich oder strategisch tiefer einzutauchen gelingt selten in kurzen Zeiträumen. Innovationszyklen, Führungsverantwortung oder Projektzyklen brauchen Zeit. - Fehlende Stabilität im Team
Teams leben von eingespielten Beziehungen. Häufige Fluktuation kostet Energie – sowohl menschlich als auch organisatorisch. - Fragezeichen bei Motivation
Wechsel aus Unzufriedenheit oder Konflikten können ebenfalls mitschwingen – ob zu Recht oder nicht. Besonders bei Konfliktmustern in mehreren Stationen wird man als HR hellhörig.
Die Argumente für häufige Jobwechsel
Aber Jobhopping kann auch ein Zeichen von Selbstbestimmtheit, Lernbereitschaft und Mut sein:
- Schneller Kompetenzaufbau
Unterschiedliche Unternehmen, Branchen oder Rollen erweitern den Horizont und fördern Anpassungsfähigkeit.
„Ein kluger Jobwechsel kann mehr bringen als fünf Jahre im falschen Unternehmen.“ – Marcus K. Reif
- Karrierebeschleunigung
Laut einer Analyse von Payscale (USA, 2023) erzielen Personen, die regelmäßig wechseln, im Durchschnitt bis zu 15 % höhere Gehaltssteigerungen pro Wechsel als solche mit langen Betriebszugehörigkeiten. - Kulturelle Passung
Manchmal zeigt sich erst im Job, dass ein Fit nicht gegeben ist. Zu bleiben wäre dann weder im Interesse des Mitarbeitenden noch des Unternehmens. - Selbstbestimmung
Die eigene Karriere aktiv zu gestalten, statt auf Gelegenheiten zu warten, ist kein Makel – sondern Ausdruck von Ownership.
Der Kontext entscheidet
Wie bei vielem im Leben kommt es auf den Kontext an. Ist der Wechsel impulsiv oder wohlüberlegt? Wird eine Entwicklung sichtbar – oder wirken die Stationen sprunghaft und unverbunden?
Eine LinkedIn-Studie von 2022 zeigt: Die durchschnittliche Verweildauer in Jobs bei der Generation Z liegt global bei unter 2,5 Jahren – in Deutschland sogar bei nur 1,9 Jahren. Die neue Realität: Karrieren verlaufen weniger linear, dafür vielfältiger.
„Statt Loyalität zum Arbeitgeber zählt heute Loyalität zu den eigenen Werten.“ – Simon Sinek
Was Personaler daraus lernen können
Statt reflexartig auf die Quantität der Stationen zu schauen, sollten wir stärker auf die Qualität blicken:
- Was hat die Person dort gemacht?
- Welche Erfolge wurden erzielt?
- Was wurde gelernt – und warum ging man weiter?
Manchmal ist der Lebenslauf kein Flickenteppich – sondern ein Mosaik aus gesammelten Erfahrungen.
Fazit
Die Phobie vor dem „Jobhopper“ ist oft eine kulturelle Reaktion auf Unsicherheit. Sie entspringt einer Zeit, in der Sicherheit und Loyalität höher gewertet wurden als Agilität und Selbstbestimmtheit. Doch wer heute Talente gewinnen und halten will, sollte neue Wege denken – und Biografien mit Neugier statt Vorurteil betrachten. Denn vielleicht ist der nächste „Jobhopper“ genau der oder diejenige, die dein Unternehmen wirklich weiterbringt.
Was denkst du?
Wie stehst du zu häufigen Jobwechseln – und wie gehst du in deinem Unternehmen mit solchen Lebensläufen um? Ich freue mich über Austausch und Kommentare.
Viel Erfolg bei Ihrer Arbeit. Sie ist so wichtig.
Mit meinen besten Grüßen
Ihr Marcus K. Reif