Agentic AI gilt als einer der spannendsten Fortschritte in der KI-Entwicklung. Statt nur Fragen zu beantworten, agieren diese Systeme eigenständig in Prozessen, orchestrieren Workflows und übernehmen komplexe Aufgaben. Das Versprechen: enorme Produktivitätssprünge. Doch die Realität ist – wie so oft bei technologischen Revolutionen – komplizierter. Manche Unternehmen feiern erste Erfolge, andere rudern zurück, weil ihre KI-Agenten im Alltag enttäuschten und Menschen wieder eingestellt werden mussten. Nach einigen Projekten und intensiver Erfahrungen zeichnen sich sechs zentrale Lektionen ab.
McKinsey hat unter dem Titel: “One year of agentic AI: Six lessons from the people doing the work” einen Artikel zu Deploying agentic AI successfully isn’t easy. Here’s what we’re learning about how to get it right veröffentlicht, den ich gerne auf Deutsch hier zusammenfasse.
1. Es geht nicht um den Agenten – es geht um den Workflow
Viele Organisationen konzentrieren sich zu stark auf das Agentic-Tool selbst. Der eigentliche Hebel liegt jedoch darin, komplette Workflows neu zu denken: Wo entstehen Reibungen? Wie können Agenten, Menschen und Tools optimal zusammenspielen?
Beispiel: Ein Legal-Tech-Anbieter ließ Agenten kontinuierlich aus Nutzerfeedback lernen. Jeder Edit im Dokumenteneditor floss zurück in die KI. So konnte das System Schritt für Schritt neue Expertise aufbauen – und echte Mehrwerte schaffen.
2. Nicht jede Aufgabe braucht einen Agenten
Agenten sind kein Allheilmittel. Standardisierte Prozesse (etwa regulatorische Offenlegungen) lassen sich oft besser mit Regeln oder Predictive Analytics automatisieren. Agenten entfalten ihre Stärken vor allem dort, wo Aufgaben variabel, komplex und wissensintensiv sind.
Die wichtigste Frage lautet daher: Welche Technologie passt am besten zur Aufgabe?
3. Ohne Qualität kein Vertrauen – „AI Slop“ vermeiden
Nutzer verlieren schnell das Vertrauen, wenn Agenten unpräzise oder umständliche Ergebnisse liefern. Erfolgreiche Unternehmen behandeln KI-Agenten daher wie neue Mitarbeitende: Sie bekommen eine klare Rollenbeschreibung, Feedbackschleifen und kontinuierliches Training.
Ein globales Bankhaus zeigte, wie das geht: Jede Abweichung zwischen Agenten-Empfehlung und menschlichem Urteil wurde analysiert, die Logik nachgeschärft und erneut getestet. So entstand Schritt für Schritt Vertrauen.
4. Transparenz in jedem Arbeitsschritt schaffen
Je mehr Agenten im Einsatz sind, desto schwieriger wird es, Fehlerquellen zu finden. Darum ist Observability entscheidend – also die Möglichkeit, jeden einzelnen Schritt eines Workflows nachzuvollziehen.
Ein Beispiel: In einem Dokumenten-Workflow führte plötzlich ein Genauigkeitsabfall zu Problemen. Dank eingebauter Monitoring-Tools konnte das Team schnell erkennen, dass die Ursache bei schlechteren Eingabedaten lag – und das Problem gezielt beheben.
5. Wiederverwendbarkeit statt Einzellösungen
Viele Unternehmen entwickeln für jede Aufgabe einen eigenen Agenten – und verschwenden dadurch Ressourcen. Besser ist es, Agenten modular und wiederverwendbar zu bauen.
Zentrale Bibliotheken mit validierten Services, Code-Bausteinen und Trainingsmaterialien sparen bis zu 50 % der sonst üblichen Entwicklungsarbeit.
6. Menschen bleiben unverzichtbar – aber ihre Rollen verändern sich
Agenten übernehmen mehr Aufgaben, doch sie ersetzen den Menschen nicht. Stattdessen verschiebt sich die Arbeit: von der manuellen Bearbeitung hin zu Aufsicht, Qualitätssicherung, Kontextualisierung und Entscheidungsverantwortung.
Erfolgreich ist, wer menschlich-agentische Kollaboration bewusst gestaltet: klare Schnittstellen, einfache User Interfaces, und ein klares Verständnis, wann menschliches Urteil unverzichtbar ist.
Fazit: Lernende Organisation statt „Launch & Leave“
Agentic AI ist kein Plug-and-Play-Werkzeug. Es braucht Geduld, Training, Beobachtung und Anpassung. Unternehmen, die ihre Programme als Lernreise verstehen, werden langfristig profitieren – alle anderen riskieren Fehlschläge, die Vertrauen und Akzeptanz kosten.
Meine Prognose: In den nächsten Jahren werden Unternehmen, die Workflows konsequent neu denken und Agenten bewusst mit Menschen verzahnen, deutliche Produktivitätsgewinne erzielen. Wer dagegen nur auf schnelle Effekte setzt, wird ernüchtert zurückrudern müssen.
Viel Erfolg bei Ihrer Arbeit. Sie ist so wichtig.
Mit meinen besten Grüßen
Ihr Marcus K. Reif