Die letzten zwei bis drei Jahrzehnte waren im Personalwesen von einem bemerkenswerten Wandel geprägt. Vielfalt und Inklusion, moderne Führungsprinzipien, Mitarbeiterentwicklung, flexible Arbeitsmodelle und eine auf Vertrauen basierende Unternehmenskultur wurden nicht nur als „nice to have“ gesehen – sie galten als essenziell für nachhaltigen Erfolg. Unternehmen investierten Millionen in Employer Branding, Talententwicklung und in den Aufbau einer Arbeitswelt, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt.
Doch in der aktuellen wirtschaftlichen Krise erleben wir ein besorgniserregendes Phänomen: Unter dem Druck von Kostenoptimierung (Opex-Management) und kurzfristiger Effizienz werden zentrale Errungenschaften dieser Entwicklungen rücksichtslos über Bord geworfen.
Opex first, People last?
In Krisenzeiten ist Effizienz zweifellos wichtig. Unternehmen müssen ihre Liquidität sichern, ihre Kostenstrukturen überprüfen und ihre Organisationen an veränderte Marktbedingungen anpassen. Doch die Art und Weise, wie dies derzeit vielerorts geschieht, steht im krassen Gegensatz zu den Prinzipien, die wir in guten Zeiten hochgehalten haben.
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden wieder primär als Kostenfaktor betrachtet – nicht als Träger von Kompetenz, Innovationskraft und Zukunft. Führungskräfte, die jahrelang für eine wertebasierte, partizipative Führung geschult wurden, sind plötzlich gezwungen, harte Kürzungsmaßnahmen durchzusetzen, oft ohne Rücksicht auf individuelle Stärken oder Potenziale. Der Fokus auf Personalentwicklung und -bindung, der als entscheidend für die Wettbewerbsfähigkeit galt, wird zugunsten von kurzfristigem Sparen marginalisiert.
Die Folgen sind absehbar
Dieser Paradigmenwechsel bleibt nicht folgenlos. Vertrauen, einmal verspielt, lässt sich nur schwer wieder aufbauen. Talente, die in guten Zeiten mühsam gewonnen wurden, orientieren sich neu – zu Unternehmen, die trotz Krise an ihren Werten festhalten. Die Innovationskraft leidet, wenn Mitarbeiter nur noch in Unsicherheit und Angst agieren.
Wir riskieren, ganze Unternehmenskulturen zu zerstören, die mühevoll aufgebaut wurden. Und wir senden ein gefährliches Signal an die Belegschaft: Werte gelten nur dann, wenn sie nichts kosten.
Was jetzt zu tun ist
Natürlich kann und darf sich Personalstrategie nicht völlig von der wirtschaftlichen Realität abkoppeln. Aber genau jetzt wäre der Moment, in dem sich zeigt, ob unsere Überzeugungen wirklich Substanz haben.
Statt reflexartigem Stellenabbau brauchen wir differenzierte Maßnahmen. Statt die Personalentwicklung einzustellen, sollten wir sie neu ausrichten – fokussierter, vielleicht auch schlanker, aber keinesfalls ersatzlos gestrichen. Und vor allem sollten wir offen und respektvoll kommunizieren: über Herausforderungen, über notwendige Veränderungen – aber auch über das, was bleibt.
Krisen sind Bewährungsproben. Für Strategien, für Führungskräfte – und für die Kultur eines Unternehmens.
Es liegt an uns, ob wir in einigen Jahren auf diese Zeit zurückblicken und sagen können: Wir haben unsere Werte nicht nur gefeiert, als es leicht war – wir haben sie auch verteidigt, als es schwierig wurde.
Viel Erfolg bei Ihrer Arbeit. Sie ist so wichtig.
Mit meinen besten Grüßen
Ihr Marcus K. Reif