Unmengen an Artikeln sind derzeit zu lesen, dass Unternehmen Mitarbeiter entlassen. Die wirtschaftliche Entwicklung, vermutlich auch zu viel Bürokratie, Belastungen durch Gesetzgebungen und natürliches fehlendes Wachstum sind ursächlich dafür. Während wir Personaler seit gut 25 Jahren vor dem War for Talent warnen, tritt uns die Konjunktur die Errungenschaften weg. Der eine spekuliert über Krankmacher und will den ersten Krankheitstag unbezahlt, andere sägen an Remote-Work. Wie sind wir eigentlich an diesen Punkt gekommen?
Für manch einen kommt es überraschend, dass wir nach vielen Jahren des Investments ins Employer-Branding, in die Entwicklung moderner Führungs- und Unternehmenskulturen nun wieder beim schnöden 80er Jahre “Hire & Fire” übergehen. Auch wird aus der politischen Debatte über die Industrie- und Wirtschaftstransformation den Leuten allmählich klar, was konkret hinter der fortschreitenden Dekarbonisierung der industrieller Fertigung steckt. Seit Jahren beschäftigt uns die Globalisierung und Digitalisierung, der Wertewandel der Generationen und nun kommt mit Wucht die Elektrifizierung und Automatisierung, nebst künstlicher Intelligenz auf die Arbeitskräfte und Arbeitgeber zu.
Nun bekomme ich zumindest den Eindruck, dass sich die Arbeitgeber aus der Arbeitnehmerzentrierung Schritt für Schritt verabschieden. Der Obstkorb und vielleicht auch der Tischkicker könnten das überleben, beide haben aber mit der Schärfung der Arbeitgeberattraktivität nichts zu tun. Branchenübergreifend wird über Entlassungen im großen Stil oder sozialverträglichem Personalabbau über die nächsten Jahre berichtet. Man fragt sich wirklich, was gerade passiert. Eben noch war der Mensch als Arbeitskraft gefragter denn je, nun wird suggeriert, dass man ihn nicht mehr braucht.
Die OPEX ist stärker gewachsen als die Top-Line und zwingt in Krisenzeiten die Unternehmensführung die Organisation auf Rendite und Profitabilität zu trimmen. Je mehr eine Firma von Fremdkapital der Investoren abhängig ist bis hin zur Börsennotierung, desto weiter schlägt dieses Pendel aus. Die Reaktion auf diese Entwicklung ist überall gleich. OPEX-Management, Kostensenkungsprogramme, Workforce-Management, Personalabbau, Erhöhung des Drucks auf die Belegschaft – Payroll-Hygiene eben. Das ist eine echte Bewährungsprobe für HR, denn die mühsam in Zeiten der Talenteknappheit aufgebauten Maßnahmen und Programme werden nun viel zu schnell geopfert. Was juckt denn die teuren Einstellungen exzellenter Leute, wenn heute gespart werden muss? Dann streichen wir doch gleich noch für das nächste Jahr das Trainingsbudget und ein paar Benefits mit.
Kosten- und Spardruck trifft Investitionstau
Die unternehmensinterne Wirklichkeit, gepaart aus Sparmaßnahmen und Kontrolle, trifft auf nicht weiterentwickelte Systeme, Prozesse und Strukturen. Der Investitionsstau wird größer. Viele Prozesse finden auf Excel statt, Analytics wird mit der Hand am Arm erledigt, keine tief verbundenen IT-Systeme, die die Arbeit erleichtern. Wenig KI, wenig Automatisierung. Das ist der Einstieg in eine Unternehmensführung, die Entscheidungen aufgrund von Bauchgefühl und unzureichenden Daten trifft. Das kostet bares Geld! Das Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) hat über eine Umfrage herausgefunden, dass 40 % der Firmen in Deutschland im Jahr 2025 Personal abbauen werden, nur 17 % wollen Personal einzustellen.
Das ist angesichts der anstehenden Knappheit an Talenten vermutlich eine falsche Wette auf die Zukunft. Die Hoffnung, dass künstliche Intelligenz die Talenteknappheit schmälern wird, wird nicht erfüllt werden. Gar im Gegenteil, eine KI braucht Menschen, die diese trainieren, mit Daten füttern und weiterentwickeln. Es sind vermutlich gänzlich andere Kompetenzen als die von heute, aber auch ein fachliches Wissen von einem Thema zu haben bedingt die Fähigkeit, die KI vernünftig zu trainieren.
Arbeitsmarktflaute
Der Arbeitsmarkt ist träge im letzten Jahr, vermutlich wird es ähnlich träge auch im Jahr 2025 weitergehen. Die Wirtschaft steckt in einer Rezession. Man erwartet eine Seitwärtsbewegung, eventuell hin zu einer leichten Belebung. Auf der anderen Seite waren noch nie so viele Menschen in sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung. Das liegt am demografischen Wandel, bevor andere etwas anderes verheißen.
STUDIE ZU HOMEOFFICE: Bürozwang regt Angestellte stärker zur Kündigung anQuelle: Golem.de
Präsenzarbeit in Gefahr?
Die Überschriften lassen nichts Gutes erwarten. SAP und die Deutsche Bank wünschen die Mitarbeiter wieder drei Tage die Woche im Büro, Führungskräfte bei manchen Beispielen sogar völlig ohne Homeoffice. Als Gründe für diese Maßnahme werden mehr Effizienz in der Kommunikation und bei Abstimmung untereinander, aber auch Förderung der Kreativität angeführt. Ich zweifle daran. Unsere Arbeit ist ja nicht routiniert 100 % gleich. Die Arbeitsinhalte der Wissensarbeiter bestehen aus transaktionalen und transformationalen Tätigkeiten. Die konzentrierte Fokusarbeit kann durchaus zu Hause stattfinden. Ein Austausch zwischen den Beteiligten kann via Teams ebenso gelingen. Dabei mag es Momente geben, wo der Austausch in einem Raum als einfacher oder sinnvoller angesehen wird. Das gehört dazu, keine Frage. Aber im Kern würde ich weder die Effizienz, noch die Kommunikation in Remote-Situationen schlechter bewerten als im Büro. Eigentlich ist das Büro mit den Großraum-Bereichen kommunikativ die Hölle. Die Leute sitzen doch in der Regel mit Kopfhörer da, um einigermaßen konzentriert arbeiten zu können.
Die Produktivität – und das bestätigten Studien – ist zu Hause höher als im Büro. Natürlich auch durch den Wegfall der Zeit für die Hin- und Rückfahrt ins Büro. Die Pendelzeit wird von den meisten Wissensarbeitern als belastend empfunden. Also wenn mir eine Führungskraft sagt, ich führe lieber auf Zuruf und Sicht im Büro anstatt remote und virtuell, dann akzeptiere ich das. Das hat allerdings andere Komponenten innewohnend. Dann sollten wir aber die Argumente rund um Produktivität, Effizienz und besserem Austausch weglassen. Weil das raubt dem Ansatz die Glaubwürdigkeit.
Verliert die Personalarbeit an Bedeutung?
In wirtschaftlich guten Zeiten galt die Aufmerksamkeit der Arbeitgeber der eigenen Attraktivität mit einer guten und starken Personalabteilung. Doch nun ist die Personalabteilung die am stärksten von Jobabbau betroffene Berufsgruppe. Weiterhin kürzen Unternehmen auch in anderen Bereichen, bpsw. Projektmanagement und Kundenservice, IT-Support und Softwareentwicklung.
Diese Entwicklung spiegelt sich in einer Auswertung von Stellenanzeigen durch die Index Internet und Mediaforschung GmbH wider. Danach fiel die Anzahl von HR-spezifischen Stellenanzeigen zwischen Januar und August 2024 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum von 432.657 auf 348.119 Inserate, was einem Rückgang von 17,5 % entspricht.
Talenteknappheit!
Ich habe Sorge, dass die Bedeutung von Recruiting und HR insgesamt weiter erodiert. Doch die Talenteknappheit wird nicht weggehen, sondern hoffentlich wieder dafür sorgen, dass das Personalwesen zur geschäftserfolgskritischen Bedeutung zurückfindet.
Viel Erfolg bei Ihrer Arbeit!
Mit meinen besten Grüßen
Ihr Marcus K. Reif