Die letzten Wochen lese ich einige Artikel, wie Hiring-Manager harte Ausschlussentscheidungen argumentieren. Der eine schaut darauf, wie höflich jemand mit den Kollegen am Empfang oder Reinigungspersonal umgeht. Ob jemand bei dem Angebot, sich einen Kaffee zu nehmen, auch den anderen anwesenden Unternehmensvertretern eine Tasse einschenkt. Oder, das ist der aktuellste Shittest-Bericht, sich in der Teeküche ein Wasser holt und man darauf achtet, ob am Ende des Gesprächs das Glas wieder in die Teeküche zurückgebracht wird – oder es zumindest angeboten wird.
Solche Shittests nennt man etwas höflicher Kongruenztests. Und die Aussagefähigkeit dieser Kongruenztests ist nahe null. Was genau soll es mir denn sagen, wenn eine Kandidatin oder ein Kandidat nach einer anstrengenden Stunde einfach nicht mehr daran denkt, dass man das Glas Wasser wegräumen sollte? Was sagt das aus über die fachliche Qualifikation, über das Kompetenzset und die Softskills? Nichts. Das ist von der Prognosevalidität mindestens die gleiche Kategorie, wie die Frage nach Noten und Arbeitgeberzugehörigkeit.
Die Tage hatte ich einen Artikel gelesen wirklich skurriler Art: „Wassertest“ im Bewerbungsgespräch: Cleverer Trick oder völliger Quatsch? Im Text wurde eindringlich davor gewarnt, dass Bewerber in einem Jobinterview zu viel Wasser zu trinken. „Wenn jemand übermäßig trinke, sei dies ein Zeichen für mangelnde Selbstkontrolle“. Das ist ernsthaft in einem seriösen Artikel die Empfehlung. Weiter heißt es dort “Tatsächlich würden Personaler den sogenannten Wassertest nutzen, um euer Selbstbewusstsein und eure Anpassungsfähigkeit zu testen.” Tut mir leid, den schönen Artikel zu kritisieren. Aber ich kenne keinen einzigen Personaler, der so was tut. Das ist insgesamt sehr abenteuerlich und grotesk. Doch da wir immer noch glauben, Noten und Keimfreiheit der Biografie trügen Aussagen für zukünftige berufliche Performance, will ich mich gar nicht so weit aus dem Fenster lehnen …
Liebe Leser. Sind Sie mal auf der Kandidatenseite unterwegs, in seriösen Auswahlprozessen müssen Sie solchen Quatsch mit der Prognosequalität eines chinesischen Glückskekses nicht ertragen. Erleben Sie aber eignungsdiagnostische Elemente, Teilstruktur im Auswahlprozess, kleine Fallstudien und durch Fragen geführte Interviews, dann atmen Sie durch. Das ist professionelle Personalauswahl. Der absurde Fall mit dem Wasser ist es nicht.
Mit meinen besten Grüßen
Ihr Marcus K. Reif