Willkommen auf dem Blog von Marcus K. Reif | Meine Arbeit gibt Ihnen Zeit für Ihre!

Letzte Woche war ich auf der HR360 – European Summit – in Berlin. Ich bürstete dort ein wenig gegen den Strich, sprich gegen die gestellte Storyline, da ich mit der Tagline “from reactive to proactive talent management” noch meine Schwierigkeiten fühlte. Wir dürfen nicht zu einfache Antworten auf komplexe Fragen geben. Nur weil man “proactive” ist – was immer das sein mag – lösen sich die handfesten Herausforderungen nicht in Luft auf. Doch eins ist klar

Loyalität zum Arbeitgeber sinkt

Kaum noch jemand plant seinen Renteneinstieg bei seinem ersten Arbeitgeber. In allen Branchen lässt sich beobachten, dass Menschen in einem Arbeitgeberwechsel eine Chance sehen; und diesen eben häufiger vornehmen als dies noch die Generation ihrer Eltern oder Großeltern tat. Fluktuation ist heutzutage ein normaler Aspekt unserer Arbeitskultur. Menschen gehen, viele deutlich früher als geplant, erhofft oder erwartet. Andere kommen. In beidem gibt es Chancen. Doch in den Unternehmen wird die positive Seite der Medaille oft ausgeblendet. Was noch viel gravierender ist, dass die evident immer wichtiger werdende Nachfolgeplanung und das Talent-Management sehr stiefmütterlich betrachtet werden. Im Grunde liegt die einfache Gleichung auf der Hand: mehr Fluktuation führt zu mehr Planung, wie man diese managen sollte.

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Irrweg des reaktiven Recruitings

Realität ist, dass die Nachfolgeplanung selten strukturiert und anhand eines validen Prozesses erfolgt. Meist ist das ein sehr reaktiver Prozess und findet oftmals nur auf der Beziehungsebene der betroffenen Führungskräfte statt. Die Beispiele sind austauschbar. Der Fachbereich meldet aufgrund einer Kündigung den Bedarf an eben dieser Vakanz an die Personalabteilung, die dann wiederum die geeigneten Maßnahmen einleitet, um die Zielgruppe bestmöglich anzusprechen. Meist sind das Schaltungen von Stellenanzeigen auf der Karriere-Webseite oder bei populären Online-Stellenmärkten. In wenigen Fällen greifen Recruiter aktiv auf Business-Plattformen in die Tasten, um überhaupt mal ein Gefühl für den Markt zu gewinnen, in dem man nun fischen soll. Die Fragen bleiben gleich: Wo sind die besten Bewerber, die nachweislich eine Menge an Talent und Potenzial mitbringen? Es gibt Unternehmen, die für Schlüsselfunktionen eine meist sehr aktuelle Rangliste der Topleute vorhalten und sogar die Beziehung zu ihnen aufbauen und pflegen. Eben echtes Talent-Relationship. Im Bereich des Hochschulmarketings wird dies bereits von vielen Unternehmen ausgiebig betrieben. Bei Professionals hingegen selten.

Viele Bewerbungen sind das Ziel. Nicht die richtige Einstellung

In meinen 20 Jahren Berufserfahrung im Recruiting habe ich stets die gleichen Business-Interessen bei der Stellenbesetzung kennengelernt. Die Hiring-Manager erwarten viele Bewerbungen, um daraus auszuwählen. Die moderne Form des Recruitings wäre tatsächlich, dass nur zwei top ideale Kandidaten interviewt werden, um eine Einstellung vorzunehmen. Doch da liegen Anspruch und Wirklichkeit weit auseinander. Es geht wieder mal um die Input-Orientierung, die der Generation Baby-Boomer und auch der Generation X so wichtig ist. Und nicht nur die Generation Y sowie die Gen Z sind voll auf den Output, also das Ergebnis, fokussiert. Im modernen Leadership ist die Konzentration auf das Resultat das einzig wahre. Zu viel Micromanagement und zu viel Fokus auf den Input sind nicht die Attribute moderner Führung, sie sind das Kennzeichen überkommener Führungsprinzipien. Sie kennzeichen das “Managen” als Vorgänger der “Führung”. Die Gen Y und Z verstehen oftmals diesen Fetisch der Inputorientierung nicht. Was hat es für einen Effekt, wenn man viel Arbeitet, aber wenig leistet? Wieso sollte die Kultur des Rumhockens auch noch finanziell stimuliert werden? 

Fetisch der Inputorientierung: geht ums beste Ergebnis, nicht um die längste Arbeitswoche Klick um zu Tweeten

Lebendiger Dunning-Kruger-Effekt

Und genau das ist auch die Schwierigkeit des Recruitings. Die Unzulänglichkeit der Unternehmen in der strukturierten Nachfolgeplanung wird der Personalabteilung auf die Füße geschmissen. Ad-hoc – nämlich im konkreten Kündigungsfall – muss das Recruiting springen und schnellstens die Lücke schließen. Und da unsere Kunden ja alle eine ausgiebige Kompetenzvielfalt haben, steigen sie auch gerne tief in unsere Prozesse ein. Erklären uns, an welchen Hochschulen wir unterwegs sein sollen. Dass man gerne auch mehr als einen Personalberater parallel arbeiten wissen möchte. Oder dass es unfassbar unprofessionell ist, innerhalb zwei Wochen noch der Kündigung “immer noch keine” Bewerbung auf dem Tisch zu haben, was man in einer E-Mail mit einkopierten Vorstandskollegen mitgeteilt bekommt. 

Das sind alles Erlebnisse aus der täglichen Arbeit des Recruitings. Wir sind Getriebene und Gejagte. Doch die Ursache für diese paradoxe Situation liegt daran, dass Führungskräfte in ihren Unzulänglichkeiten für modernes Talent-Management den Zusammenhang nicht verstehen. 

Und weshalb erleben wir das so? HR ist nicht ganz unschuldig daran. Wir genießen nicht das Vertrauen unserer Kunden. Sie glauben nicht, dass wir diese Leistung erbringen. Also fangen wir bei uns an. Transformieren wir uns. Geben wir HR eine neue Maxime. Gewinnen wir Menschen für uns, die HR mehr als Gestalter und Ermöglicher treiben, weniger als rein kooperative Serviceeinheit. Seien wir Koch, nicht Kellner! 

Talent-Scouting im Fußball

Der Fußballsport zeigt uns eingängig, wie es die Profis beim Scouting – also der Talentsichtung – handhaben. Gerade bei der aktuellen EM ja ebenfalls in aller Munde. Da werden hoffnungsvolle Talente des Sports gesichtet, die Trainings besucht, Testspiele beobachtet. Hier werden Erkenntnisse gesammelt, ob man heute für einen geringen Beitrag einen Top-Spieler gewinnen kann, der in einigen Jahren ein Vielfaches davon einbringen könnte. Der Umgang mit Talenten steht hier im Vordergrund. Die Talentscouts finden Verstärkungen für ihre Vereine, indem sie in verschiedenen Ligen der Welt nach adäquaten Nachwuchskräften Ausschau halten, die begnadet talentiert sind und absolut hochkarätige Leistung erbringen. Ihren neuen Verein also verstärken, weiterbringen, erfolgreich machen!

Reaktives Recruiting

Gehen wir nun wieder zurück zu unserer Fachabteilung. Welche Maßnahmen wären denn vergleichbar mit denen des Talentscouts? Direktansprache durch Headhunter wäre für Topleute angebracht. Doch es können auch nur diese Kandidaten für den Karrieredialog gewonnen werden, die gerade in diesem Moment wechselwillig sind. Und gerade hier haben wir eine Herausforderung. Nehmen wir mal das Beispiel eines engen Profils. Ein Stratege für Digitalisierung. Ich schätze mal, dass es hier 20 Topleute in Deutschland gibt (Einkommen >200.000 Euro). Sie schalten eine Anzeige und bekommen 100 Bewerbungen. Wie werden Sie aus diesen 100 Bewerbungen fündig? Sie nehmen harte Kriterien, wie Universitätsabschluss, Berufserfahrung, Branchenerfahrung, Alter, beim Screening sind sie eventuell sogar geleitet von Eindrücken, wie bspw. das Bewerbungsfoto etc. Sie kommen dann auf eine kritische Masse von vielleicht 10 Bewerbern, die dann der Fachabteilung präsentiert werden. Hier stellt sich mir die Frage, wie viele der 20 Topleute nun unter den 10 Bewerbern sind, die der Fachabteilung präsentiert wurden? Keiner! 

Ein weiterer Aspekt der hier hinzukommt, ist der, dass talentierte Mitarbeiter und damit interessante Mitarbeiter häufiger wechseln, als dies noch vor 15-20 Jahren der Fall gewesen ist. War vor 15-20 Jahren noch die Wechselhäufigkeit zwischen 2,4-5,5 Arbeitgebern, so ist es heutzutage und in naher Zukunft ein Wert zwischen 6,8-7,8 Arbeitgebern. Der Gen Y werden bis zu 12 Arbeitgeber unterstellt, bei der Gen Z sprechen Fachleute von bis zu 20 unterschiedlichen Arbeitgebern. Die nachfolgenden Generationen verstehen Arbeit durchaus als Aneinanderreihung von Projekten, weniger als Lebensaufgabe. 

Wir erleben eine Verdichtung der Arbeit und eine Beschleunigung des Alltags. Es ist eben alles schneller geworden – auch die Rekrutierung und der Arbeitsplatzwechsel. Entscheidend ist der direkte Kontakt und das Beziehungsmanagement zu den besten Bewerbern im Markt. Bei der alltäglichen Bewerbersuche, der reaktiven Rekrutierung, erreichen Sie allerdings mitunter nur die bestmöglichen Bewerber. Viele Arbeitgeber können das Wissen dieser Talente leider nicht im Unternehmen halten.

Sie erkennen jetzt, was ich mit reaktiver Rekrutierung meine. Das Reagieren auf einen Bedarf im eigenen Haus, welcher mit den gegebenen Marktverhältnissen korrespondieren muss und somit nur die am Markt verfügbaren Bewerber anspricht, nicht jedoch die besten! Das ist keine gute Strategie, um zukunftsfähig zu agieren! 

Recruiting wird geliebt für Ad-hoc-Kompetenz

Recruiting ist eigentlich eine strategische Disziplin im Unternehmen. Talent-Management wäre eine strategische Funktion innerhalb. Und doch wird Recruiting ad-hoc betrieben. Eine Disziplin auf Zuruf. Recruiting wird missbraucht als operativer Fluktuationsausgleich! Wir spiegeln quasi die Unzulänglichkeit der mangelnden Personalplanung in den Unternehmen. Die beginnt in der Regel mit einer individuellen Kündigung. Und dann beginnt der Kreislauf. Meldung an die Personalabteilung “hier hat jemand gekündigt, ich brauche Ersatz”. 

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Workforce-Planning ist unsere Herausforderung

Wir brauchen eine bessere Planung. Unternehmen, die so auf Kante genäht sind, dass eine Kündigung substanzielle Folgen hat, macht nicht nur diesen Fehler des schlechten Workforce-Plannings. Hier geht es um die Kür der Personalarbeit. Wie können wir die beiden Bereiche “Supply” und “Demand” in Einklang bringen und bestmöglich unterstützen? 

Wir müssen raus aus der reaktiven Haltung. Schon heute gibt es verlässliche Messpunkte, um Fluktuation zu managen, bevor die individuelle Kündigung geschieht. In allen Firmen sieht man eine klare Korrelation aus niedrigem Commitment der Mitarbeiter bzw. niedriger Mitarbeiterzufriedenheit, rigider Führung, hoher Belastung und hoher Fluktuation. Diese Betrachtung eignet sich für eine Prognose an überdurchschnittlicher Fluktuation.

Solche Unzulänglichkeiten lassen sich monatlich reporten. Und wenn das Top-Management hier nicht aktiv wird, ist die individuelle Kündigung der logische nächste Schritt. 

Kulturmodernisierung ist der Weg dorthin

Menschen wollen nicht für Dinosaurier arbeiten. Wer Kulturmanagement nicht ernst nimmt, hat ein Unternehmen mit dem Spirit von gestern. Die Modernisierung der Unternehmens- und Führungskultur muss oberste Priorität haben. Wer früh anfängt, macht das mit überschaubarem Invest. Wer das verpasst, stellt sein ganzes Unternehmen ins Risiko. Die Fälle einiger deutscher Konzerne im Bereich Finanzen oder Automobil geben hier plastische Beispiele. Der ausgefallene Kulturwandel kostet Milliarden! 

Und ist diese, zugebenermaßen nicht ganz kleine Herausforderung gemeistert, fällt auch die Planung der Workforce einfacher aus. Wenn wir dann noch erreichen, aus dem Klein-klein des Lückenfüllens rauszukommen, um mehr strategischen Impact ins Recruiting zu bekommen, sind wir angekommen im Jahr 2016! 

Realität sind nicht mehr Ressourcen

Die Wirklichkeit zeigt, dass wir nicht mehr “Human Resources” managen. Es geht nicht mehr um die Ressource, die eingesetzt wird. Wir schauen mehr auf die Talente, mit Fähigkeiten und Leidenschaft, die ein Thema und die ganze Firma nach vorne bringen! 

Wenn das gemeint ist mit “proactiveness”, um die Intro der HR360 aufzugreifen, dann stehe ich für die Sache ein!

Beste Grüße 

Marcus Reif

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