Willkommen auf dem Blog von Marcus K. Reif | Meine Arbeit gibt Ihnen Zeit für Ihre!

Der Fachkräftemangel ist mindestens seit der Studie von McKinsey aus dem Jahr 1997, aus der 1998 das Buch „War for Talent“ von Ed Michaels entstand, statistisch evident und metanalytisch abgesichert. Der Talenteknappheit ist seit Jahren greifbar. Was viele Unternehmen nicht wahrhaben wollten, ist zur Realität geworden. Die Selektionsarroganz bei Bewerbungen hat sich dennoch nicht flächendeckend gelegt. Man erlebt immer noch Führungskräfte, die die Kandidaten durch jeden Reifen springen lassen wollen. 

Heute ist klar, dass aus dem Arbeitgebermarkt Ende der 90er Jahre ein konzentrischer Arbeitnehmermarkt wurde. Doch inwieweit wurden die internen Strukturen an diese exogene Entwicklung angepasst? Es ist greifbar, dass sich die Führung, die Unternehmenskultur, die Organisation der Arbeit nach den Bedürfnissen der Bewerber und Mitarbeiter richten muss. Eine pauschale Basta-Personalpolitik greift da viel zu kurz und produziert keinerlei Innovation, sondern nur Unzufriedenheit, die wiederum zur Fluktuation führt. Die Regeln bestimmt also eher der Arbeitsmarkt in weiten Teilen. Das bringt Arbeitnehmer in eine sehr kraftvolle Position, ihren Wünschen und Bedürfnissen Nachdruck zu verleihen. Der Begriff der „Purpose driven Organization“ entspricht dem Wunsch der vier Generationen in den Unternehmen nach sinnstiftender Tätigkeit und dem Bedürfnis, einen Wertbeitrag zu liefern. Das ist das Ende von Human Resources, also der menschlichen Ressource im Unternehmen.

Manche Branchen sind seit Jahren schon sensibler, was Kultur, Führung und Arbeitsmodelle angeht, weil gutes Personal schon knapp war. Andere Branchen spüren gerade die Entwicklung und reagieren erst. Es ist bildlich gesprochen die der Zug, der schon aus dem Gleis gefahren ist. Geschäftsführer stehen staunend am Bahngleis und verstehen nicht, wieso Mitarbeiter kündigen und neue nicht einfach so in das Unternehmen strömen. 

Selektionsarroganz

Die meisten Unternehmen zeigen ein ähnliches Verhalten. Kommt eine Bewerbung, wird sie auf die nach innen gewünschte Vollständigkeit überprüft, die noch fehlenden Bestandteile aus der Wunschliste werden nachgefordert. Der Bewerbungsprozess ist ein so häufig ein Musterexempel an gelebter Bürokratie. Mir hat sich noch nie erschlossen, weshalb jemand mit mehr als 3-5 Jahren Berufserfahrung ein Abschlusszeugnis der Schule nachreichen soll. Vom Anschreiben mal ganz abgesehen. Welche Relevanz haben diese beiden Bewerbungsbestandteile für eine verlässliche Prognose zukünftiger Leistung, kultureller und sozialer Passung? Keine! 

Unternehmen stellen künstliche Hürden auf, quasi der brennende Reifen, durch den die Kandidaten springen müssen. Das beginnt bei der Stellenanzeige, die oftmals wenig realistisch das Idealbild eines Kandidaten zeichnet, geht weiter beim Bewerbungsformular, wo ich sämtliche Bestandteile meines Lebenslaufs eintragen muss, obwohl der Lebenslauf selbst hochgeladen werden soll. Wozu? Arbeitgeber, bekommt eure Technik zum Laufen und lasst die Kandidaten nicht durch den Reifen springen. 

Unternehmen bewerben sich beim Bewerber?

Der Prozess der Bewerbung ist in vielen Unternehmen so krass ausgestaltet worden, dass die eine Frage die Probe ermöglicht: wie viele der High-Performer im Unternehmen würden sich heute solch einen Prozess noch antun? Erfragen Sie das mal. Oder zu einer Einladung zum Erstgespräch wird eine lapidare Einladung mit festem Termin versendet. Botschaft ist klar: Da wollen wir dich sehen, spring durch den Reifen. Wo ist dort die Attitüde „wir bewerben uns beim Bewerber“? In Interviews werden Instrumente ausgepackt von kleinen Fallstudien über Brainteaser usw. Sich die Mühe machen, den Menschen hinter der Biografie kennenzulernen, machen die wenigsten. Aber die Kandidaten sollen auch durch diese Reifen springen. Einschließlich Folgegespräche, die sich inhaltlich doppeln. Man erklärt wieder den Lebenslauf, beantwortet wieder die gleichen Fragen, weil eine Struktur für die Beurteilung von Eignung und kultureller Passung in den Prozessen fehlt. Die Kandidaten müssen aber auch hier durch die Reifen springen. 

Die meisten Unternehmen beurteilen regelmäßig die Leistung ihrer Mitarbeiter. Führungskräfte beurteilen dort im Schwerpunkt das Erreichen der vorher vereinbarten Ziele, aber auch weiche Faktoren, wie Problemlösungskompetenz, analytische Kompetenz, soziales Verhalten, Vertrauen, Integrität, Verlässlichkeit, Kommunikationsverhalten und viele Elemente mehr. Doch bei der Einstellung genau der gleichen Persönlichkeiten überwiegt eine Abschlussorientierung, der Blick auf Lebenslaufstringenz, Noten und Verweildauer bei vorherigen Arbeitgebern, akademische Leistung usw. Wieso nutzen wir bei der Personalauswahl völlig andere Kriterien, als bei der Beurteilung von Leistung? Es ist doch naheliegend und logisch, hier eine Kriterienkonsistenz zu erreichen. Man wird zu den gleichen Kriterien eingestellt, wie später dann auch meine Leistung beurteilt wird. Das wäre doch mit Blick auf Kompetenzen und Potenziale der viel bessere Weg.

“Der Arbeitsmarkt hat sich gewandelt vom Arbeitgeber- zum konzentrischen Arbeitnehmermarkt. Nun gilt es, endlich die internen Strukturen an die Realität anzupassen”

Probezeit ist auch so ein Ding. Unternehmen haben immer noch Angst, die falsche Person zu rekrutieren. Und anstelle den Bewerbungsprozess dahingehend zu verbessern, die Auswahlentscheidung zu verbessern und verlässlicher zu machen, werden den Kandidaten sechs Monate Probezeit oktroyiert. Was glauben Sie denn, welchen Reifen Sie da Kandidaten hinhalten? Glauben Sie, in solch einem kulturellen Erwartungsgefüge geben Ihnen Kandidaten sechs Monate Zeit? Die hohe Kündigungsbereitschaft der Kandidaten und der sich verschärfende Fachkräftemangel zwingen Arbeitgeber zum Umdenken. Doch denken Sie gerade um? In Unternehmen steigen die beiden Indikatoren Fluktuation und Frühfluktuation seit Jahren an. Sie wollen ein Gespür dafür bekommen, weshalb das so ist? Schauen Sie mal für Ihr eigenes Unternehmen auf Kununu und Glassdoor nach, was dort über Sie geschrieben steht. 

Höhepunkt der Beschäftigung erreicht

Mein ehemaliger Arbeitgeber liefert hierzu interessante Daten. Nach der Unternehmensberatung Accenture wird der Höhepunkt der Beschäftigung mit fast 46 Mio. Erwerbstätigen in Deutschland in diesem (2023) oder im kommenden Jahr (2024) erreicht sein. Danach scheiden mehr Menschen aus dem Erwerbsleben aus als neu hineinkommen. Es werde in der nächsten Dekade konstant herausfordernd sein, genügend und ausreichend qualifizierte Mitarbeiter zu bekommen. Der War for Talent ist seit dem Pillenknick im Jahr 1964/65 statistisch belegt. Mit dem Renteneintritt der Generation Baby Boomer, geboren 1946 bis ca. 1964, wird das zum entscheidenden Problem für die Arbeitgeber, weil die menschliche Ressource, die ich so viele Jahre eben wie eine Ressource behandelt habe, knapp. 

Wesentliche Attribute für den Wandel

Legen Sie Folgendes ab: Micromanagement und Bürokratie. Die Selektionsarroganz ist ein Produkt aus Ihrer Kultur, Ihrer Bürokratie, Ihrer Führung und Ihren Werten. Sie sollten sich eher die Frage stellen: Wie kann ich ein attraktiver Arbeitgeber sein? Wie kann ich flexible Arbeitsmodelle anbieten? Wie kann ich kurze Hierarchien schaffen, mehr Entscheidungsfreiraum, Selbststeuerung und Gestaltungsfreiheit der einzelnen Mitarbeiter fördern?

Bauen Sie auf flexible Arbeitsmodelle, die zeitlich und örtliche maximale Flexibilität für Ihre Mitarbeiter bedeuten. Dabei müssen Ihre Führungskräfte auf Kontrolle als Führungsparadigma allerdings verzichten. Sie müssen Output messen, nicht Input, ergo keine Arbeitszeit, sondern das Ergebnis der Arbeit. Messen Sie Produktivität, was auch bedeutet, mal Leute nach 20 Stunden in der Woche nach Hause gehen zu lassen. Das wird eine Reise werden, aber sie lohnt sich. Die Unternehmenskultur muss sich wandeln. Hin zu einem produktiven, von Wertschätzung und Möglichkeiten geprägtem Miteinander, bei dem Fehler möglich sind und zu einem Mehr an Wissen führen. 

Die Reise lohnt sich!

Beste Grüße

Ihr Marcus K. Reif


Abdruck im Magazin ZAU Arbeitsrecht im Unternehmen

ZAU_2023_04_Fokus_Reif

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