Willkommen auf dem Blog von Marcus K. Reif | Meine Arbeit gibt Ihnen Zeit für Ihre!

Interview mit Marcus K. Reif

Was macht ein Experte für Employer Branding?

Employer-Branding ist die gesamte Wahrnehmung eines Kandidaten aus der zeitlichen Perspektive der Berufsorientierung bis zur Rente zu einem bestimmten Arbeitgeber, inkl. der Auffassung der internen Sicht durch die Mitarbeiter zu ihrem Arbeitgeber.

Employer-Branding hat zum Ziel, die Wahrnehmung eines Arbeitgeber in eine unterscheidbare, authentische, glaubwürdige, konsistente und attraktive Arbeitgebermarke auszubilden, die positiv auf die Unternehmensmarke einzahlt. Somit ist Employer-Branding eine Gesamtbetrachtung aller Aspekte eines Arbeitgebers. Die Expertin/der Experte für Employer-Branding trägt unternehmensseitig die konzeptionelle Verantwortung der Arbeitgebermarkenstrategie und betreut deren Umsetzung.

Was ist Ihre Meinung zum Thema Fachkräftemangel?

Die letzten der Generation Baby-Boomer feiern dieses Jahr ihren 50. Geburtstag. Die 1964 Geborenen gehören zum letzten Jahrgang vor dem Pillenknick und sind der letzte Jahrgang, bei dem mehr neue Kräfte in den Arbeitsmarkt einstiegen, als verdiente Veteranen in Rente gingen. Statistisch gesehen haben wir also seit 50 Jahren einen stetig zunehmenden Fach- und Führungskräftemangel. Dass erst in diesen Jahren darüber so viel geschrieben wird, liegt eben auch daran, dass die Alterskohorte der Arbeitsfähigen gerade unlängst empfindlich kleiner wurde und werden wird. Wir messen übrigens dieser Tage eine der statistisch geringsten Quoten an Arbeitslosigkeit seit der Wiedervereinigung. Das ist nur auf der einen Seite ein Zeichen von Wirtschaftsprosperität, denn die andere Seite ist die kleiner werdende Kohorte der Arbeitsfähigen. 

Sie arbeiten für das Unternehmen EY (Ernst & Young), spüren Sie dort einen Mangel an geeigneten Bewerbern?

Die Veränderungen in den letzten 20 Jahren kann niemand wirklich leugnen. Auch wir spüren die Auswirkungen aus den Veränderungen, ob enger werdender Arbeitsmarkt oder kulturelle und führungskulturelle Herausforderungen der verschiedenen Generationen im Unternehmen.

Der eigentliche Mangel an geeigneten Absolventen folgt erst noch ab 2017, wenn die Doppeljahrgänge auslaufen. Also rein quantitativ betrachtet.

Wie kann das Konzept Employer Branding da ansetzen und Unternehmen und Bewerber erfolgreicher zusammenbringen?

Die Sichtweisen der Generationen mit hoher Seniorität auf den idealen Karriereweg und welchen Input ein Berufseinsteiger zu leisten hat führen zu pauschalen Aussagen, wie „die Bewerbungen sind schlechter geworden“. Unsere Aufgabe als HRler ist es, diese gefühlte Wirklichkeit professionell zu erläutern.

EY und auch Sie selbst wurden schon mehrmals für exzellentes Recruiting ausgezeichnet. Was hat EY als Unternehmen verstanden, was viele andere Unternehmen weiterhin missachten?

Der Arbeitsmarkt wird enger, die Talente, Fach- und Führungskräfte deutlich knapper. Was ist die strategische Antwort auf diese Entwicklung? Produktivitätszunahme, Effizienzgewinn, Zuwanderung, Förderung von Teilzeit-Jobs und verstärkte Integration von Eltern (weiblich und männlich) zurück in den Job, Inklusion und zielgerichtete Bildungsstrategie. Doch diese Maßnahmen an sich werden die Fachkräftelücke nicht völlig schließen. 

Wir machen die Prozesse nicht völlig neu, sondern einfach und klar – die Bewerberin und der Bewerber stehen im Vordergrund. Wir versuchen dabei, auch die vielen Facetten und Bedürfnisse der Fachbereiche zu übersetzen und zwischen den Bewerbern und unseren Fachbereichen zu moderieren. Die/er Recruiter/in als eigenes Profil und seine Rolle in der Organisation und im Selektionsprozess ist dabei eine der wichtigen Facetten.

Sie arbeiten in einem multinationalen Unternehmen. Wie setzen kleine und mittelständische Unternehmen ohne größere Ressourcen Employer Branding erfolgreich um?

Employer-Branding ist sie Sicht der Zielgruppen auf die wahrgenommene Realität des Unternehmens. Und jedes Unternehmen hat seine ganz eigene Erfolgsgeschichte als Arbeitgeber zu erzählen. Fragen Sie einfach die Mitarbeiter, weshalb sie da sind und auch bleiben. Natürlich sollten Sie auch die befragen, die gehen. Doch diese Perspektiven geben einen Teil Ihrer Employer-Value-Proposition. Jeder Arbeitgeber hat eine, oftmals eben nur implizit. Formulieren Sie diese und gehen Sie zielgerichtet auf Ihre Zielgruppe zu. Das ist nicht das Prä von großen Beratungen oder internationalen Unternehmen alleine. Jedes Unternehmen hat die Chance, aus dem Kontrast seiner Branche herauszustechen.

Welche Gewichtung haben Online-Recruiting-Strategien im Gegensatz zu traditionellen Offline-Strategien?

Pauschal betrachtet hat das Internet die klassischen Medien nicht vollständig ersetzt und wird es aus meiner Sicht auch nicht. Doch massive Verschiebungen im Sourcing-Mix sind natürlich festzustellen, die man in einem nachhaltigen Sourcing-Mix auch abbilden muss.

Eine Messe an Hochschulen können Sie nicht vollständig durch eine Online-Präsenz ersetzen. Gut gemacht ergänzen sich beide Maßnahmen sogar, bspw. wenn Sie online und in sozialen Netzwerken konkret und zielgruppenorientiert auf die Hochschulmesse hinweisen, merken Sie diesen Effekt sofort.

Welche Recruiting-Kampagne hat Sie in den letzten Monaten vom Hocker gehauen?

Über unsere eigene Kampagne „building a better working world“ brauche ich wohl nicht zu sprechen. Die bekannten und großen Kampagnen sind allesamt sehr marketinglastig und dienen der Attrahierung von Kandidaten.

Sehr gut gefallen hat mir die Kampagne der Deutschen Bahn, weil Mitarbeiter und deren Geschichten und Karrieremehrwert im Vordergrund standen. Auch die SBB in der Schweiz war überzeugend, weil frisch und lebendig.

Für mich zählen nicht nur bunte Bildchen, sondern die Geschichte als Ganzes. Wenn die Zielgruppe ernst genommen wird, ist die Kampagne auf einem guten Weg.

Sie persönlich setzen bei Bewerbern auf einen sehr guten Abschluss, relevante Praktika, Auslandserfahrung und soziale Kompetenzen. Immer öfter hört man nun auch „Talent“ und „Potenzial“. Wie genau definieren Sie Talent und Potenzial?

Unsere anspruchsvollen Aufgaben können wir nur mit exzellenten Teamleistungen lösen. Und die entstehen, wenn die jeweiligen Mitglieder des Teams ein Persönlichkeitsprofil haben, das zu uns passt. Die viel zitierten “Soft Skills” sind entscheidend. Sie sind unverzichtbar in einer Branche, in der die Kommunikation und Interaktion mit dem Kunden im Mittelpunkt steht. Wir finden facettenreiche Kandidaten spannend, die vielseitig interessiert sind und Leidenschaft für ihre Ziele erkennen lassen. Das leitet uns bei der Rekrutierung nach Potenzial und Talent.

Die biografischen Daten sind wichtig, spielen heute für eine herausragende Karriere aber nur noch eine nachrangige Rolle. Noten, Studienleistungen und Praktika haben nicht mehr die Aussagekraft, die sie vor zehn oder 15 Jahren hatten. Wir legen auf andere Dinge Wert. Vor allem suchen wir Persönlichkeiten, die zu uns passen und ein Potenzial mitbringen, das wir entfalten und ausbauen können.

Soft-Skills sind entscheidend. Gerade die weichen Kompetenzen runden eine Biografie ab. Für alle Bewerberinnen und Bewerber gilt eben gleichermaßen, dass man monothematisch keine Karriere macht. Ein facettenreiches Talent, Motivation und Leidenschaft für die Aufgaben bauen schnell das eigene Renommee auf.

Kommt diese Message auch bei den Bewerbern an? Haben Sie eventuell nach dem Rebranding von EY oder nach bestimmten Kampagnen einen Unterschied bei Bewerbern und deren Art sich zu präsentieren festgestellt?

Das Re-Branding zu EY unterstreicht die internationale Integration und unsere Überzeugung als international leistungsfähigste Professional-Services-Company noch deutlicher. Das spielen uns auch unsere Bewerberinnen und Bewerber wider. Dass wir seit über einem Jahr als EY auch viel stärker über den Karrieremehrwert und die Relevanz des Bewerbers für eine Karriere bei uns sprechen, ist kongruent und folgt unserem Leitbild.

Googeln Sie Bewerber vor einem Gespräch?

Falls Sie einen klassischen Backgroundcheck meinen: Nein. Weshalb sollten wir? Dass ein Recruiter mal auf Xing oder anderen Plattformen schaut, wen er denn kennenlernen wird, halte ich für eine unabdingbare Vorbereitung und Wertschätzung den Bewerbern gegenüber.

Wie wichtig ist es Ihnen, dass ein Bewerber öffentliche, professionelle Social Media Profile besitzt?

Je mehr Berufserfahrung jemand gewinnt, desto wichtiger ist auch die eigene Präsentation auf Business-Social-Networks. Das halten wir schon für immens wichtig ab einer gewissen Seniorität. Bei Absolventen sind die Gründe für oder gegen ein Social-Media-Profil sehr unterschiedlich, das gewichten wir aber nicht beim Kennenlernen.

Glauben Sie wirklich, dass wir in Deutschland die Work-Life-Balance hinter uns lassen, und sich in Zukunft eine „Work-Flex“ Arbeitskultur, mit Home-Office, geteilten Führungspositionen, mobiler Erreichbarkeit und mehr Flexibilität etablieren wird?

Alles hat seine Zeit … und die Zeit des Präsenzdenkens in Büros ist definitiv vorüber. Dennoch gibt es etliche Führungskräfte, für die es eine performancerelevante Aussage ist, ob jemand lange im Büro ist. Diese Form der reinen Input-Orientierung vs. der ergebnisorientierten Output-Orientierung hindert Abteilungen, Bereiche und Unternehmen am erfolgreichen Kulturwandel.

Work-Life-Balance beschreibt etwas, was gerade für die Generation Y und weitere ein völlig unverständlicher Ansatz ist. Die Grenze aus Arbeitszeit und Freizeit ist bei dieser Gruppe der arbeitenden Menschen so weit verschwommen und ineinander verwoben, dass die Balance dazwischen sinnentleert ist. Aber was bedeutet dies nun für das wichtige und richtige Instrument der Work-Life-Balance hinsichtlich der gegenwärtigen Bedürfnisse? Über allem steht die Flexibilität. Die Fragestellung nach der faktischen Bedeutung der Work-Life-Balance für die Generation Y durch konkrete Fragen zur Flexibilisierung der Arbeitszeit und des Arbeitsortes zu ersetzen – das wird entscheidend sein!

Die hiesigen Unternehmen und Arbeitgeber kommen gar nicht umhin, ihre Personalpolitik und die HR-Instrumente auf die Bedürfnisse der heutigen und zukünftigen Workforce hin anzupassen und auszurichten. Nur wer als Arbeitgeber den Respekt vor den persönlichen Bedürfnissen des Mitarbeiters in Einklang bringt mit den Erfordernissen des geschäftlichen Ablaufs, wird auch in Zukunft bestehen und sein Geschäftsmodell erfolgreich forcieren. Denn ohne die knappste Ressource überhaupt – den Faktor Mensch – wird jedes Geschäftsmodell seine strukturellen Schwierigkeiten bekommen. Dies ist das Ende der Work-Life-Balance und der Anfang von konkreten Maßnahmen zur mehr Flexibilität der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern.

Das Interview ist erschienen auf: jobisjob.de/blog/category/interview

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