Willkommen auf dem Blog von Marcus K. Reif | Meine Arbeit gibt Ihnen Zeit für Ihre!

Das Selektionskritierum Noten wird überschätzt!

Herr Reif, Ihnen sitzt ein Kandidat mit Bachelor-Abschluss gegenüber. Sagen Sie ihm, er soll wiederkommen, wenn er den Master in der Tasche hat?

Reif: Der Bachelor ist willkommen! Personaler jammern, die Bewerber seien schlechter geworden. Aber die heutigen Bewerber sind nicht schlechter, sondern anders. Sie kommen aus einem gleichförmigen Schulsystem, machen den Bachelor in drei Jahren und sitzen mit 21 Jahren im Job-Interview. Das sind andere Persönlichkeiten als die Kandidaten von früher, die 27 Jahre alt waren und Diplom, Auslandsaufenthalt und Wehrdienst vorweisen konnten. Aber hört auf zu jammern! Das ist heute einfach so. Unternehmen müssen einen Teil der Ausbildung, den wir früher vorausgesetzt haben, selbst nachholen.

Top-Noten sind dabei aber Pflicht, oder?
Die reinen Ergebnisse etwa einer Semesterarbeit werden überschätzt. Relevant ist doch, was während der Semesterarbeit passiert ist: Wie hat man sich in die Analysephase reingesteigert? Wie hat man versucht, aus den Daten Erkenntnisse und Lösungsansätze zu gewinnen?

Verlieren Zeugnisse und Studiendauern demnach also völlig an Relevanz?
So spitz würde ich es nicht formulieren. Aber warum ist jemand mit 2er-Noten und einer längeren Studienzeit, der im Unternehmen aber gut performt, ein schlechterer Kandidat als jemand mit Top-Noten, der nur Theorie kann? Mein Rat an Absolventen ist: Seid relevant für euren zukünftigen Arbeitgeber. Und das geht nicht mit einer keimfreien Biographie. Also nehmt euch auch mal eine Auszeit, macht ein Gap Year, ein Praktikum und holt euch praktische Erfahrung!

Notenwerdenueberschaetzt2Und dann dürfen sie im Bewerbungsgespräch ausrechnen, wie viel Tennisbälle in einen 7,5-Tonner passen …

Das ist in der Tat eine tolle Übung (schmunzelt). Bei uns gibt es im Bereich Hochschulmarketing folgende Übungsaufgabe: Es kommt jemand auf Sie zu, der 400 Kugelschreiber braucht. Was tun sie? Die Standardantwort ist: Ich gehe in den Keller und hole 400 Kugelschreiber … Aber wäre nicht die Frage angebracht, wofür jemand 400 Kugelschreiber braucht? Vielleicht geht er auf eine Messe? Braucht er dann vielleicht Broschüren oder einen Messestand? Kombinatorik ist eine viel bessere Perspektive. Und näher an der Realität!

Die Kandidaten sollen also mitdenken.

Exakt. Und das meine ich mit „Relevanz herstellen“. Ihr wollt als Unternehmensberater Unternehmen dabei helfen, Probleme zu lösen, die sie alleine nicht lösen können? Dann dürft ihr doch nicht schlechter sein als die Leute, die schon da sind. Aber so eine Kombinatorik wie in der skizzierten Übungsaufgabe wird bei der Rekrutierung von Fachkräften oft außen vorgelassen, es wird nur auf Analytik geachtet.

Was muss denn eine Führungskraft der Zukunft mitbringen?

Wir brauchen Menschen, die zum richtigen Zeitpunkt analytisch sind. Die zum richtigen Zeitpunkt Entscheidungen treffen. Die ihre Mitarbeiter coachen, damit sie zu den richtigen Entscheidungen kommen. Und die auch einen ausreichendes Maß an Empathie mitbringen. Da wir in der deutschen Wirtschaft aber zu eindimensional mit Rekrutierung und Persönlichkeitsentwicklung umgegangen sind, werden uns in den nächsten 15 Jahren so facettenreiche Führungskräfte fehlen. Wir haben nur die alten Alpha-Tiere mit Basta-Mentalität.

Wo wir schon beim Blick in die Zukunft sind: Welche Veränderungen wird es in der Arbeitswelt geben?
Wir werden uns von starren Organisationsformen entfernen und zur so genannten „Liquid Workforce“ kommen. Es geht dabei um Hierarchie- und Organisationsübergreifende Teams, die an einer gemeinsamen Zielstellung arbeiten. Unternehmen können die üblichen Belastungsspitzen nicht mehr durch einen Personal-Überbau abfedern, sondern müssen in diesen Situationen intern Teams zusammensetzen. Es entsteht ein Recruitingprozess nach dem Recruitingprozess. Da haben Soft-Skills, Persönlichkeit, Fachlichkeit und kultureller Fit eine große Bedeutung.

Klingt nach tiefgreifenden Veränderungen…
Wir werden insgesamt viel stärker virtuell arbeiten. Da spielt es dann keine Rolle mehr, von wo man arbeitet und in welchen Zeiträumen. Das kommt durchaus den hohen Anforderungen der Generation Y und später der Generation Z an flexible Arbeitsbedingungen entgegen.

Erschienen im Magazin Unicum im Januar 2015, Beitrag 30 “Noten werden überschätzt” (Top-Personaler Marcus K. Reif im Interview)

Artikel aus der Unicum

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